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Ubl, Karl
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 9): Sinnstiftungen eines Rechtsbuchs: die "Lex Salica" im Frankenreich — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73537#0103
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Entwürfe von Gemeinschaft im 6. Jahrhundert

Es handelt sich erstens um die „Einigung zum Erhalt des Friedens" (Pactus pro
tenore pacis), die von Childebert I. und Chlothar I. zwischen 525 und 555 erlassen
wurde.13 Der zweite Erlass stammt von König Chilperich, einem Sohn des 561
verstorbenen Chlothar I., und datiert in die Jahre von 567 bis 584.14 Der dritte
Erlass entstand nur wenige Jahre später und geht auf König Childebert II. zu-
rück, der über das östliche Teilreich Austrasien herrschte. Seine Decretio ist sin-
gulär, da sie sowohl den Ort als auch das Datum des Erlasses festhält. Sie wurde
um das Jahr 595 auf drei Versammlungen in Andernach, Maastricht und Köln
niedergeschrieben.15
Diese drei Texte (Pactus, Edictus und Decretio) sind nur aus Handschriften der
Lex Salica bekannt. In unterschiedlich konzipierten Anhängen zur Lex begegnen
sie gemeinsam mit anonymen Zusatzkapiteln. Dabei handelt es sich um Texte,
die ebenso in enger inhaltlicher Beziehung zum fränkischen Recht stehen, aber
im Unterschied zu den drei merowingischen Herrschererlassen ohne Zuschrei-
bung und ohne formale Merkmale überliefert sind. In den Editionen des
19. Jahrhunderts wurden sie bereits in drei Gruppen geteilt, ohne dass sich eine
feste Terminologie für sie eingebürgert hätte.16 Eckhardt schuf eine neue Zählung
und bezeichnete sie nach seiner Rekonstruktion der Chronologie als Capitulare
primurn, tertium und quintum.17 Der Pactus entstand nach Eckhardt als zweiter
Text, der Edictus als vierter und die Decretio als sechster. Eckhardt ging dabei von
der Vorstellung aus, dass diese Texte in geordneter Form an die Lex angefügt
wurden, um aktuelle Versionen der Kodifikation herzustellen. Die merowingi-
sche Fassung der Lex Salica habe daher in der Zeit Childeberts II. aus dem Text
der Kodifikation sowie aus den sechs ergänzenden Texten bestanden. Diese
These beruht jedoch auf der Voraussetzung einer modern-rationalen Gesetzge-
bung, die Eckhardt so oft in die Irre geleitet hat. Die Zusammenstellung der Lex
Salica mit allen ergänzenden Texten ist nämlich erst eine Errungenschaft der
Karolingerzeit, wie die beiden einzigen Handschriften deutlich machen. In Lei-
den, Q. 119 (K17) wird dies allein dadurch belegt, dass der Kompilator dieser
Handschrift den K-Text aus der Zeit Karls des Großen zur Grundlage nahm und
alle anderen Erweiterungen erst danach hinzufügte.18 Das Titelverzeichnis in
K17, das alle Teile der Handschrift umfasst und Eckhardt an eine stetige Er-
gänzung der Lex in der Merowingerzeit denken ließ, stammt erst aus der Zeit um
805-813. Die Handschrift Paris, lat. 4404 (Al) lässt diese Bemühung der Karo-
lingerzeit ebenfalls gut erkennen. Das Titelverzeichnis aus der Merowingerzeit
umfasste nur einen Teil der Zusatztexte, während der Rest, wie schon Bruno

13 Woll, Untersuchungen, S. 17, plädiert für eine Entstehung in den Jahren „von Mitte der 20er bis
Mitte der 30er" oder „von Anfang der 40er bis Mitte der 50er".

14 Woll, Untersuchungen, S. 29-33.

15 Woll, Untersuchungen, S. 36-39; Mordek, Decretio Childeberti, Sp. 937.

16 Geffcken, Lex Salica, S. 63-89.

17 Eckhardt, Einführung, S. 129-139. Die Zusatztexte folgen in der Edition Eckhardts nach Titel 65
und werden im Folgenden nach dieser Zählung zitiert.

18 Vgl. Lex Salica (K17), S. 15-17. Zur Handschrift vgl. Mordek, Bibliotheca, S. 210-217 und unten
S. 230.
 
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