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Usurpation und Legitimität: Die Neufassung Pippins I.

einen Text folgen, der dessen altertümliche Ausdrucksweise aufs Korn nimmt.
Die Parodie beginnt mit einer frommen Invokation und untersagt dann auf
Antrag eines gewissen Fredo, seiner Frau und seiner Optimaten, dass ein Tropfen
Wein beim Ausschank einer Flasche in einen Becher gegossen werde. Als Strafe
sind 15 solidi fällig, zudem soll der Becher zerbrochen, dem Kellermeister der
Kopf eingeschlagen, und der Mundschenk seines Amtes enthoben werden. Dann
sei beschlossen worden: „Man soll aus einer Trinkschale trinken, darin Brot-
schnitten eintauchen und den Vasallen erst erlauben mitzutrinken, wenn ihr
Herr zweimal getrunken hat."4 Die Aufnahme dieser Parodie muss aber nicht
bedeutet haben, dass man sich mit diesem Text „unweigerlich der Lächerlichkeit
preisgegeben hätte".5 Schließlich beginnt die Handschrift mit einem durchaus
nützlichen Text, einer Urkundenformel über einen Sicherheitseid, der nach der
Zahlung des Wergeldes dem Übeltäter von den Verwandten des Ermordeten
geleistet wird. Die Formel, auch anderswo nachweisbar, verbindet auf kreative
Weise fränkische und römische Aspekte des Unrechtsausgleichs.6 Dazu passt
auch, dass im Anschluss an die Lex Salica eine Kompilation des römischen Rechts
folgt und somit diejenigen Rechtstraditionen in einer Handschrift vereint sind,
die auch in einem Kapitular Pippins besonders hervorgehoben wurden.7
Die Wolfenbüttler Handschrift hinterlässt somit ein ambivalentes Bild: Der
Schreiber Agambertus drückte mit der Parodie seine Distanz gegenüber dem
fränkischen Recht aus, legte aber zur gleichen Zeit durch die Integration der Lex
Salica in eine Rechtssammlung ein Zeugnis seiner fortwährenden Bedeutung ab.
Das folgende Kapitel behandelt die Voraussetzungen und Gründe für diese
unwahrscheinliche Persistenz des fränkischen Rechtsbuchs. Hierzu werde ich im
ersten Teil die wenigen Spuren vorstellen, die das fränkische Rechtsbuch in der
spätmerowingischen Zeit hinterlassen hat. Sie deuten darauf hin, dass die Lex
Salica trotz der Unterbrechung königlicher Gesetzgebung ein weithin bekannter
Text war und für das Selbstverständnis der Franken zentral geblieben ist. Im
zweiten Abschnitt steht die Revision der Lex Salica durch Pippin im Mittelpunkt,
die nicht zufällig bald nach dem Dynastiewechsel entstanden ist. Ordnet man sie
in die Diskussion über die Frage von Kontinuität und Diskontinuität zwischen

4 INCIPIT TOTAS MALB. In nomine dei patris omnipotentis. Sic placuit uoluntas Laidobranno et Adono,
utpactum salicum, de quod titulum non abit, graten ter suplicibus ap ut gracia Fredono una cum uxore sua
et obtimatis eorum in ipsum pactum titulum unum cum deo adiuturio pertractare debirent, ut, si quis
homo aut in casa autforis casa plena botilia abere potuerint, tarn de eorum quam de aliorum in cuppa non
mittant ne gutta. Se ullo hoc facire presumserit, mal. leodardi, sol. XV conponat et ipsa cuppafrangant la
tota, ad illo botiliario frangant lo cabo, at illo scanciono tollant lis potionis. Sic conuinit obseruare: aput
satubo bibantet intus suppas faciant, cum senior bibit duas uicis sui uassalli, la tercia bonum est. Ego qui
scribsi mea nornen non hie scripsi cul. iud. Lex Salica (A2), S. 254. Kommentar und Übersetzung bei
Kiesler, Einführung, S. 115-119. Vgl. auch Beckmann, Zusatz; Banniard, Viva voce, S. 299 f. Jüngst
hat die Stelle eine andere Deutung erfahren: Fassö, La Parodia, meint, die Vermischung von Wein
und Wasser sei darin untersagt worden.

5 Nehlsen, Aktualität, S. 465 (auch mit Hinweisen auf Verschreibungen im Rechtstext).

6 Formulae extravagantes I 8, S. 537 f. Vgl. hierzu Esders, Wergeld, S. 153.

7 Pippini capitulare Aquitanicum c. 10, in: MGH Capit. I, Nr. 18, S. 43. Zur Nähe des Königska-
talogs der Handschrift zum Umkreis Pippins vgl. Ewig, Königskataloge, S. 4. Zur Qualität der
römisch-rechtlichen Epitome vgl. Liebs, Jurisprudenz, S. 202-209.
 
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