Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Ein unsichtbares Rechtsbuch in spätmerowingischer Zeit?

139

der merowingischen und der karolingischen Dynastie ein, sticht der erneute
Erlass der Lex Salica auf den ersten Blick als ein Zeichen für Kontinuitätsstiftung
hervor. Die Arbeit des Redaktors hatte in der Forschung bislang eine schlechte
Presse, da man in einigen Fällen haarsträubende Missverständnisse feststellen
konnte. Doch für die Beurteilung dieser Version ist nicht nur der Wortlaut
wichtig, auch die Umstände des Erlasses und die Auswahl von Begleittexten
verdienen eine genaue Würdigung. Insbesondere der ausführliche Prolog, in
dem die Franken als auserwähltes Volk gefeiert werden, kann Aufschluss über
die symbolische Dimension der Gesetzgebung Pippins geben. Es wird sich dabei
erweisen, dass der Dynastiewechsel nur teilweise die Revision der Lex Salica
durch Pippin erklärt. Zumindest von gleicher Bedeutung für die Wiederbele-
bung der Gesetzgebung sind die Konflikte, die Pippin Zeit seiner Herrschaft mit
konkurrierenden Fürsten innerhalb des Frankenreichs ausgetragen hat.

Ein unsichtbares Rechtsbuch in spätmerowingischer Zeit?
Das Ende der gesetzgeberischen Aktivität nach Chlothar II. hängt aufs engste mit
dem Niedergang der monarchischen Autorität zusammen.8 Sein Sohn Dago-
bert I. erbte von seinem Vater das Gesamtreich und war auf verschiedenen
Schauplätzen mit wechselndem Erfolg militärisch aktiv. Die Kritik an seinem
selbstherrlichen Regiment, die in der zeitgenössischen Fredegar-Chronik geäu-
ßert wurde, wich erst im zeitlichen Abstand einer Verherrlichung als Friedens-
könig und als Abbild Salomons.9 Nach seinem Tod wurde das Frankenreich
wieder geteilt. Seine beiden unmündigen Söhne, Sigibert III. und Chlodwig II.,
kamen unter den Einfluss der Hausmeier, die fortan eine bestimmende Rolle am
Hof einnahmen.10 Aber diese Tatsache allein hat nicht den Niedergang königli-
cher Macht herbeigeführt. Bereits im 6. Jahrhundert gab es Fälle, in denen ein
unmündiger König unter den Einfluss der Aristokratie seines Teilreichs kam.
Entscheidender war, dass sich dieser Prozess in beiden Teilreichen gleichzeitig
abspielte und nach dem jungen Tod der Könige erneut wiederholte." Nur noch
einmal konnte ein merowingischer König, Childerich II., das gesamte Franken-
reich in seiner Hand vereinen, ohne gleichzeitig von einem Hausmeier in enge
Schranken verwiesen zu werden.12 Das Experiment dauerte jedoch nur zwei
Jahre. Im Jahr 675 verübten seine Gegner einen Mordanschlag auf den König,
nachdem er einen Franken ohne Recht (sine lege) an den Pfahl hatte binden und

8 Die konventionelle Sicht weitgehend machtloser Könige vertreten Ewig, Die Merowinger, S. 181-
206, und zuletzt Offergeld, Reges pueri, S. 238-267, und Kölzer, Die letzten Merowinger. Eine
andere Sicht bei Fouracre, Observations; Wood, Merovingian Kingdoms, S. 257 und 322, und
Semmler, Spätmerowingische Herrscher; ders., Per lussorium.

9 Chronicae quae dicuntur Fredegarii IV, c. 60, S. 150f.; Liber historiae Francorum c. 42, S. 314.

10 Offergeld, Reges pueri, S. 238-253. Zu den einzelnen Amtsträgern siehe Ebling, Prosopographie.

11 Offergeld, Reges pueri, S. 282-299; Kölzer, Die letzten Merowinger, S. 39.

12 Wichtiges Beweisstück ist das verlorene Dekret, siehe oben S. 135. Vgl. ferner Semmler, Per
lussorium, S. 27-39; Fouracre, Bishops.
 
Annotationen