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Usurpation und Legitimität: Die Neufassung Pippins I.
auspeitschen lassen. Dies war ein eklatanter Angriff auf die fränkische Freiheit.13
Das Anbinden eines freien Franken wurde in der Lex Salica als schweres Delikt
erwähnt und mit 30 solidi bestraft.14
Trotz des langsamen Niedergangs der merowingischen Gewalt übte die
Institution des Königtums im späten 7. Jahrhundert weiterhin eine große An-
ziehungskraft aus. Der königliche Hof blieb das unbestrittene Zentrum der
fränkischen Politik.15 Ausdruck der Funktionalität des Königshofes ist die stei-
gende Anzahl von Königsurkunden im 7. Jahrhundert.16 Die Urkunden bezeu-
gen nicht nur die Tatsache, dass die Elite sich am Hof der Merowinger einfand
und dort über die Machtverteilung innerhalb des Frankenreichs verhandelte. Sie
bezeugen auch die Tätigkeit des Königsgerichts, an dem die Elite des Reichs in
der Funktion von Beisitzern teilnahm.17 Obwohl das Königtum nicht mehr durch
Gesetzgebung einen Autoritätsvorsprung gegenüber dem Hausmeier und der
restlichen Elite in Anspruch nahm, blieb die Wahrung des Rechts dennoch eine
wesentliche Aufgabe der Könige. Rechtsbegriffe wie ius, lex und iustitia sind in
den Urkunden omnipräsent.18
Neben den Königsurkunden geben vor allem die Sammlungen von Mus-
terurkunden Auskunft über die Rechtskultur der späten Merowingerzeit. Schon
die erste Sammlung, das Formelbuch aus der nordwestgallischen Stadt Angers,
bezeugt eine intensive Durchdringung von römischen und fränkischen Rechts-
vorstellungen. Von einer Trennung der beiden Traditionen wie im Modell der Lex
Salica kann hier keine Rede sein.19 Gleichwohl ist es wichtig festzuhalten, dass
viele Rechtsbegriffe aus dem fränkischen Rechtsbuch (wie admallare, allodum,
solsatire, sunnis, texaga) durch die Sammlung in Angers aus dem späten 6. Jahr-
hundert erstmals in Urkunden nachweisbar sind. Werner Bergmann hat zudem
auf das Verfahren vor Gericht hingewiesen, das mit seiner Abfolge von Klage,
Antwort und doppeltem (sog. zweizüngigem) Urteil dem Modell der Lex Salica
entspricht.20 Auch begegnen wir in Angers dem Begriff für die Schöffen (ra-
chinburgii) aus der Lex Salica" Gegenüber dem fränkischen Rechtsbuch hat je-
doch die Bedeutung schriftlicher Dokumente enorm zugenommen. Zum Beispiel
ist in Angers erstmals bezeugt, dass nach einer Bußzahlung (compositio) die
Ausstellung eines Dokuments (securitas) erfolgte, mit dem der Empfänger und
13 Liber historiae Francorum c. 45, S. 318. Zu diesem Ereignis ausführlich Kreiner, The social life,
S. 71-87.
14 Lex Salica (A) 32, S. 122.
15 Hierzu vor allem Fouracre, Observations; ders., Placita.
16 Kölzer, Einleitung, S. XIII.
17 Bergmann, Gerichtsurkunden; Fouracre, Placita; Kano, Proces fictif; Murray, Fictitious Trial.
18 MGH Dipl. Merov. I, S. 829-831; zur Präsenz des Rechtsdiskurses in der spätmerowingischen
Hagiographie vgl. Kreiner, The social life, S. 33-87.
19 Zur Komplementarität vgl. Rio, Legal practice, S. 201.
20 Bergmann, Formulae Andecavenses, S. 29; Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 484-486; Fouracre, The
nature, S. 286-290. Das „zweizüngige" Urteil sieht eine Entscheidung für das Gelingen und das
Misslingen des angeforderten Beweises vor.
21 Formulae Andecavenses 50, S. 22.
Usurpation und Legitimität: Die Neufassung Pippins I.
auspeitschen lassen. Dies war ein eklatanter Angriff auf die fränkische Freiheit.13
Das Anbinden eines freien Franken wurde in der Lex Salica als schweres Delikt
erwähnt und mit 30 solidi bestraft.14
Trotz des langsamen Niedergangs der merowingischen Gewalt übte die
Institution des Königtums im späten 7. Jahrhundert weiterhin eine große An-
ziehungskraft aus. Der königliche Hof blieb das unbestrittene Zentrum der
fränkischen Politik.15 Ausdruck der Funktionalität des Königshofes ist die stei-
gende Anzahl von Königsurkunden im 7. Jahrhundert.16 Die Urkunden bezeu-
gen nicht nur die Tatsache, dass die Elite sich am Hof der Merowinger einfand
und dort über die Machtverteilung innerhalb des Frankenreichs verhandelte. Sie
bezeugen auch die Tätigkeit des Königsgerichts, an dem die Elite des Reichs in
der Funktion von Beisitzern teilnahm.17 Obwohl das Königtum nicht mehr durch
Gesetzgebung einen Autoritätsvorsprung gegenüber dem Hausmeier und der
restlichen Elite in Anspruch nahm, blieb die Wahrung des Rechts dennoch eine
wesentliche Aufgabe der Könige. Rechtsbegriffe wie ius, lex und iustitia sind in
den Urkunden omnipräsent.18
Neben den Königsurkunden geben vor allem die Sammlungen von Mus-
terurkunden Auskunft über die Rechtskultur der späten Merowingerzeit. Schon
die erste Sammlung, das Formelbuch aus der nordwestgallischen Stadt Angers,
bezeugt eine intensive Durchdringung von römischen und fränkischen Rechts-
vorstellungen. Von einer Trennung der beiden Traditionen wie im Modell der Lex
Salica kann hier keine Rede sein.19 Gleichwohl ist es wichtig festzuhalten, dass
viele Rechtsbegriffe aus dem fränkischen Rechtsbuch (wie admallare, allodum,
solsatire, sunnis, texaga) durch die Sammlung in Angers aus dem späten 6. Jahr-
hundert erstmals in Urkunden nachweisbar sind. Werner Bergmann hat zudem
auf das Verfahren vor Gericht hingewiesen, das mit seiner Abfolge von Klage,
Antwort und doppeltem (sog. zweizüngigem) Urteil dem Modell der Lex Salica
entspricht.20 Auch begegnen wir in Angers dem Begriff für die Schöffen (ra-
chinburgii) aus der Lex Salica" Gegenüber dem fränkischen Rechtsbuch hat je-
doch die Bedeutung schriftlicher Dokumente enorm zugenommen. Zum Beispiel
ist in Angers erstmals bezeugt, dass nach einer Bußzahlung (compositio) die
Ausstellung eines Dokuments (securitas) erfolgte, mit dem der Empfänger und
13 Liber historiae Francorum c. 45, S. 318. Zu diesem Ereignis ausführlich Kreiner, The social life,
S. 71-87.
14 Lex Salica (A) 32, S. 122.
15 Hierzu vor allem Fouracre, Observations; ders., Placita.
16 Kölzer, Einleitung, S. XIII.
17 Bergmann, Gerichtsurkunden; Fouracre, Placita; Kano, Proces fictif; Murray, Fictitious Trial.
18 MGH Dipl. Merov. I, S. 829-831; zur Präsenz des Rechtsdiskurses in der spätmerowingischen
Hagiographie vgl. Kreiner, The social life, S. 33-87.
19 Zur Komplementarität vgl. Rio, Legal practice, S. 201.
20 Bergmann, Formulae Andecavenses, S. 29; Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 484-486; Fouracre, The
nature, S. 286-290. Das „zweizüngige" Urteil sieht eine Entscheidung für das Gelingen und das
Misslingen des angeforderten Beweises vor.
21 Formulae Andecavenses 50, S. 22.