Weltliches Recht, die Laien und das kleine Format
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Die Überlieferungschance macht das frühe Mittelalter bei weitem kirchlicher, als
es tatsächlich war.7 War die klösterliche Schreibstube somit der Hort des frän-
kischen Rechtsbuchs? Allein die Tatsache, dass die Lex Salica das fränkische
Königtum weitgehend außer Acht lässt und als ein rein weltliches Rechtsbuch
nur sehr vereinzelte Regelungen mit christlichem Hintergrund enthält, muss
Skepsis aufkommen lassen. Dass die Skepsis gerechtfertigt ist, möchte ich auf
verschiedenen Wegen zeigen: durch die Erörterung der Inhalte der Hand-
schriften, durch die wenigen (und auch gut bekannten) Beispiele für Bücherbe-
sitz von Laien, durch die Infragestellung einer strikten Trennung zwischen Laien
und Klerikern und durch die Analyse der vielen kleinformatigen Handschriften.
Zunächst der Inhalt: Die Lex Salica ist nur in den seltensten Fällen ohne
Begleittexte überliefert.8 Die Regel ist vielmehr, dass das fränkische Rechtsbuch
gemeinsam mit anderen Texten des weltlichen Rechts begegnet. Das bedeutet
nicht, dass kirchliche Kreise kein Interesse an diesen Handschriften gehabt haben
könnten. Einige Rechtsbücher wie die Lex Ribuaria und die Rechte der Aleman-
nen und Baiuwaren enthalten wichtige Bestimmungen zu den kirchlichen Ei-
genleuten und zur Schenkung an die Kirche. Die Kapitularien sind ebenso in
vielen Fällen gemischten Inhalts und geradezu essentiell für den Schutz von
Klerikern vor Gewalt und Entfremdung von Kirchengütern. Auch ist zu be-
denken, dass Bischofskirchen und Klöster durch die Herausnahme aus der
weltlichen Gerichtsbarkeit (Immunität) selbst für die Rechtsprechung in ihrem
Bezirk zuständig waren und daher ein genuines Interesse an weltlichem Recht
hatten. Hierauf wird noch zurückzukommen sein. Wichtig an dieser Stelle ist
aber die deutliche Abgrenzung vom Kirchenrecht im handschriftlichen Befund.
Nur vier Handschriften der Lex Salica enthalten einigermaßen substantielles
Material aus dem kanonischen Recht. Davon sind zwei als kirchenrechtliche
Handschriften anzusprechen9, bei zwei anderen handelt es sich um kleinere
Sammlungen von Kanones, die dem weltlichen Recht beigegeben wurden.10 Dies
bedeutet: Die überwältigende Mehrzahl der Handschriften sammelt weltliches
Recht, d.h. von Königen und Kaisern autorisiertes Recht, welches sich zum
größten Teil mit Angelegenheiten zwischen Laien befasst.
Als Besitzer solcher weltlicher Rechtskompendien sind Laien in den sel-
tensten Fällen bezeugt. Für die Lex Salica sind drei Beispiele aus dem 9. Jahr-
hundert bekannt." Eberhard, Markgraf von Friaul und Schwiegersohn Kaiser
Ludwigs des Frommen, ist sicher die bekannteste Persönlichkeit.12 Eberhard
beauftragte den Gelehrten und späteren Abt Lupus mit der Kompilation einer
eigenen Sammlung, die alle Rechtsbücher des Frankenreichs mit den Kapitula-
7 Esch, Überlieferungschance, S. 540.
8 Eine Ausnahme sind Handschriften aus dem 15. Jahrhundert: Paris, lat. 4630 (K37) und New
Haven, Beinecke Library, 212 (K54).
9 Die Collectio von Fecamp in Paris, lat. 3182 (K40). Vgl. Coumert, Identites ethniques, S. 246-252.
Zum großen Teil kirchenrechtlich ist Cambrai, 625 (K49).
10 Warschau, Biblioteka Uniwersytecka, 1 (E13) und Bern, Burgerbibliothek, 442 (K22). Nur kurze
kirchenrechtliche Exzerpte in St. Paul, Stiftsbibliothek, 4/1 (K19).
11 Hierzu bereits McKitterick, Written Word, S. 245-250.
12 Vgl. Münsch, Liber legum, S. 57-63; Kershaw, Eberhard.
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Die Überlieferungschance macht das frühe Mittelalter bei weitem kirchlicher, als
es tatsächlich war.7 War die klösterliche Schreibstube somit der Hort des frän-
kischen Rechtsbuchs? Allein die Tatsache, dass die Lex Salica das fränkische
Königtum weitgehend außer Acht lässt und als ein rein weltliches Rechtsbuch
nur sehr vereinzelte Regelungen mit christlichem Hintergrund enthält, muss
Skepsis aufkommen lassen. Dass die Skepsis gerechtfertigt ist, möchte ich auf
verschiedenen Wegen zeigen: durch die Erörterung der Inhalte der Hand-
schriften, durch die wenigen (und auch gut bekannten) Beispiele für Bücherbe-
sitz von Laien, durch die Infragestellung einer strikten Trennung zwischen Laien
und Klerikern und durch die Analyse der vielen kleinformatigen Handschriften.
Zunächst der Inhalt: Die Lex Salica ist nur in den seltensten Fällen ohne
Begleittexte überliefert.8 Die Regel ist vielmehr, dass das fränkische Rechtsbuch
gemeinsam mit anderen Texten des weltlichen Rechts begegnet. Das bedeutet
nicht, dass kirchliche Kreise kein Interesse an diesen Handschriften gehabt haben
könnten. Einige Rechtsbücher wie die Lex Ribuaria und die Rechte der Aleman-
nen und Baiuwaren enthalten wichtige Bestimmungen zu den kirchlichen Ei-
genleuten und zur Schenkung an die Kirche. Die Kapitularien sind ebenso in
vielen Fällen gemischten Inhalts und geradezu essentiell für den Schutz von
Klerikern vor Gewalt und Entfremdung von Kirchengütern. Auch ist zu be-
denken, dass Bischofskirchen und Klöster durch die Herausnahme aus der
weltlichen Gerichtsbarkeit (Immunität) selbst für die Rechtsprechung in ihrem
Bezirk zuständig waren und daher ein genuines Interesse an weltlichem Recht
hatten. Hierauf wird noch zurückzukommen sein. Wichtig an dieser Stelle ist
aber die deutliche Abgrenzung vom Kirchenrecht im handschriftlichen Befund.
Nur vier Handschriften der Lex Salica enthalten einigermaßen substantielles
Material aus dem kanonischen Recht. Davon sind zwei als kirchenrechtliche
Handschriften anzusprechen9, bei zwei anderen handelt es sich um kleinere
Sammlungen von Kanones, die dem weltlichen Recht beigegeben wurden.10 Dies
bedeutet: Die überwältigende Mehrzahl der Handschriften sammelt weltliches
Recht, d.h. von Königen und Kaisern autorisiertes Recht, welches sich zum
größten Teil mit Angelegenheiten zwischen Laien befasst.
Als Besitzer solcher weltlicher Rechtskompendien sind Laien in den sel-
tensten Fällen bezeugt. Für die Lex Salica sind drei Beispiele aus dem 9. Jahr-
hundert bekannt." Eberhard, Markgraf von Friaul und Schwiegersohn Kaiser
Ludwigs des Frommen, ist sicher die bekannteste Persönlichkeit.12 Eberhard
beauftragte den Gelehrten und späteren Abt Lupus mit der Kompilation einer
eigenen Sammlung, die alle Rechtsbücher des Frankenreichs mit den Kapitula-
7 Esch, Überlieferungschance, S. 540.
8 Eine Ausnahme sind Handschriften aus dem 15. Jahrhundert: Paris, lat. 4630 (K37) und New
Haven, Beinecke Library, 212 (K54).
9 Die Collectio von Fecamp in Paris, lat. 3182 (K40). Vgl. Coumert, Identites ethniques, S. 246-252.
Zum großen Teil kirchenrechtlich ist Cambrai, 625 (K49).
10 Warschau, Biblioteka Uniwersytecka, 1 (E13) und Bern, Burgerbibliothek, 442 (K22). Nur kurze
kirchenrechtliche Exzerpte in St. Paul, Stiftsbibliothek, 4/1 (K19).
11 Hierzu bereits McKitterick, Written Word, S. 245-250.
12 Vgl. Münsch, Liber legum, S. 57-63; Kershaw, Eberhard.