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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0007
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EINLEITUNG.

waren, so dass die Beobachtungen auf jedem einzelnen Gebiete zugleich auch für alle übrigen
gelten und einander somit wechselseitig stützen und ergänzen, haben bisher selbst für die
Architektur, Sculptur und Malerei der spätrömischen Periode noch niemals eine genauere
Feststellung erfahren, hauptsächlich unter der Herrschaft des eingewurzelten Vorurtheiles, dass
es überhaupt vergeblich sein möchte, in der spätesten Antike nach positiven Entwicklungs-
gesetzen zu suchen. Wer also heute das Wesen der spätrömischen Kunstindustrie zu schildern
unternimmt, sieht sich schon durch äußere Verhältnisse gezwungen, diese Schilderung zu
einer Charakteristik der spätrömischen Kunst überhaupt zu erweitern.

Die späteste Phase der antiken Kunst ist eben der dunkle Welttheil auf der Karte der
kunstgeschichtlichen Forschung. Nicht einmal ihr Name und ihre Grenzen stehen auf eine Weise
fest, die auf Allgemeingiltigkeit Anspruch erheben könnte. Die Ursache dieser Erscheinung hat
man keineswegs in einer äußeren Unzugänglichkeit des Gebietes zu suchen; dieses liegt vielmehr
nach allen Seiten hin offen da und bietet eine reiche Fülle an Beobachtungsmaterial, das sogar
zu einem ansehnlichen Theile publiciert vorliegt. Aber es fehlte bisher die Lust, sich darein zu
versenken; man versprach sich von solcher Entdeckungsreise weder hinreichende persönliche
Befriedigung, noch entgegenkommendes Verständnis beim Publicum. Es offenbart sich darin die
nicht mehr zu übersehende Thatsache, dass selbst die Wissenschaft trotz aller anscheinenden
Selbständigkeit und Objectivität ihre Richtung im letzten Grunde doch von den jeweilig
führenden geistigen Neigungen erhält und auch der Kunsthistoriker über die Eigenart des
Kunstbegehrens seiner Zeitgenossen nicht wesentlich hinauskann.

Wenn nun im nachfolgenden der Versuch unternommen wird, das bisher vernachlässigte
Gebiet wenigstens auf seine allgemeinsten und maßgebendsten Charakterzüge hin zu untersuchen,
so geschieht dies nicht etwa, weil der Verfasser sich über die beklagte Unvollkommenheit des
menschlichen Geistes erhaben wüsste, sondern weil er empfindet, dass unsere geistige Ent-
wicklung auf einem Punkte angelangt ist, wo die Lösung der Frage nach dem Wesen und den
treibenden Kräften der ausgehenden Antike dem Interesse und Verständnisse der Gesammtheit
begegnen könnte.

Ist es aber nicht Übertreibung, die bildende Kunst des ausgehenden Römerreiches so als
ein völlig unerforschtes Gebiet hinzustellen ? Was einmal die heidnischen Denkmäler darunter
betrifft, so wird man dem Gesagten allerdings kaum widersprechen können. Beispielshalber sei
nur erwähnt, dass ein wohldatiertes Hauptdenkmal der gedachten Art, der Complex
diokletianischer Bauten zu Spalato, eine vollständige, auf wissenschaftliche Untersuchungszwecke
berechnete Publication seit dem vorigen Jahrhunderte nicht mehr erfahren hat. Nach der bisher
geübten Arbeitsteilung wäre diese Aufgabe der classischen Archäologie zugefallen; wer wollte
es aber dieser verdenken, wenn sie in einer Zeit, die Mykenä und Pergamon dem Schutte ent-
steigen sah, für die Agonie der Antike kein Interesse übrig hatte ? Wenn sie sich hie und da
dennoch entschloss, ein solches Spätwerk zu behandeln, so geschah es in der Regel um des
antiquarisch-historischen Inhaltes und nicht um der künstlerischen Form willen. Begegnet man
aber einmal einer Ausnahme, so gieng sie gewiss von einem Forscher aus, dessen Interesse für
die bildende Kunst an der Grenze der Classik nicht Halt macht, und ihn dadurch in Stand setzt,
selbst an den Werken der spätesten Antike, inmitten der Zeichen des Absterbens und der Ver-
wesung, die Keime neuen Werdens und Blühens zu erkennen. So stammt auch das Beste, was bis
jetzt überhaupt von der Kunst des dritten und vierten Jahrhunderts der römischen Kaiserzeit
 
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