Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0102
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
SCULPTUR.

97

Christus in der Blindenheilung) sind zu Dreiviertel von rückwärts zu sehen.1 Auch den beiden
Porträtköpfen mangelt noch jene Tendenz auf starr krystallinische Frontansicht, wie sie seit
Constantin üblich wurde, ihre Haare sind noch nicht peinlich gestrichelt, sondern nach Art des
dritten Jahrhunderts in freierer Lagerung skizziert; nicht minder sprechen die Barte für die Zeit
vor Constantin, unter welchem für vornehme Personen die Bartlosigkeit guter Ton geworden ist.
Nur die Tendenz auf völlige Überführung der Figuren vom Grunde in den Raum, ferner die
Neigung zur Massigkeit der Umrisse, Vernachlässigung der Gliederung in den Gelenken und im
Nackten überhaupt, verräth die Nähe der constantinischen Epoche.

Fig. 24. Marmor-Sarkophag. Lateranisches Museum.

Die Schlussphase der Entwicklung des geschilderten Sarkophagtypus bezeichnet Fig. 24
(im Treppencorridor des lateranischen Museums), den man nach der bisherigen Annahme in das
fünfte Jahrhundert versetzen müsste. Die Composition der verräumlichten und isolierten Figuren
im ganzen ist aber noch völlig diejenige der constantinischen Zeit; auch im einzelnen finden wir
da und dort die gleiche kurze und gedrungene Körperbildung der Figuren, begegnen wir ferner
an den Falten, Haaren, Augen noch der bekannten fernsichtigen skizzenhaften Andeutung,
allerdings ins Extreme gesteigert, was sich auch in den Porträt-Brustbildern verräth. Aber die
Beobachtung der natürlichen verbindenden Ebenrelationen (vor allem der Proportionen) der
Theile untereinander hat in fühlbarer Weise nachgelassen, was wir heute als Unschönheit und
Rohheit zu bezeichnen pflegen. Die Einheit ruht jetzt fast ebensosehr als in den sinnfälligen
Factoren des Linien- und Schattenrhythmus, in dem der reinen Gedankensphäre angehörigen
Factor der religiösen Erlösungsidee, welche die unterschiedlichen Scenen zu einem Ganzen ver-
knüpfen heißt. Die materielle Erscheinung ist dabei anscheinend nur Mittel für die Erreichung eines
äußeren tendenziösen Zweckes geworden. Inhalt und Form dünken uns auseinander gefallen, wie
Materie und Geist in der spätheidnischen und frühchristlichen Anschauung; das Übergewicht

1 Dieser Lust der mittelrömischen Künstler, ihre vollräumigen Figuren von allen Seiten und namentlich von der Rückseite dem
Beschauer vorzuführen, hat in einer geradezu auffallenden Weise der Meister der sogenannten marcaurelischen Reliefs am Constantinbogen
gefröhnt; es ist nicht zufällig, sondern in einem bestimmten Parallelismus des Kunstwollens begründet, wenn man dadurch an das italienische
Quattrocento erinnert wird, und höchst lehrreich zu beobachten, worin sich beide Ausdrucksweisen trotz der angedeuteten Verwandtschaft
grundsätzlich unterscheiden (nämlich im Verhältnisse zum freien Luftraum, den das römische Relief nach Kräften ignoriert, das italienische
innerhalb gewisser Grenzen bereits als gleichberechtigt mit den stofflichen Figuren behandelt).

13
 
Annotationen