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4. PATHETISCHES LEIDEN:

DIE «DORNENKRÖNUNG CHRISTI»
IN IHREM PARAGONALEN KONTEXT

Die «Dornenkrönung Christi» (Tf. II und Abb. 2,9) kann unter den Gemäl-
den, die Tizian nach dem Petrus Martyr-Altar schuf, gut verdeutlichen,
wie er sich mit der Aufgabe der affektorientierten, dramatischen storia
weiter auseinandersetzte.1 Eng verwandt mit einem Martyrium, zeigt das
Sujet aus der Passion Christi, wie Tizian an den im «Petrus Martyr» (Abb.
13) entwickelten Lösungen weiterarbeitet, und legt damit seinen Refle-
xionsprozeß über die Möglichkeiten und Grenzen der Gattung offen. Beide
Gemälde entstanden unter ähnlichen Voraussetzungen. Auch der Auftrag
zur «Dornenkrönung» erging an ihn von einer kleinen Confraternitä, war
jedoch seines bedeutenden Orts wegen - der Kirche des Dominikanerkon-
vents S. Maria delle Grazie in Mailand - für Tizian attraktiv; denn im
Refektorium der Kirche befindet sich mit Leonardos «Letztem Abend-
mahl» das capolavoro frühneuzeitlicher Affektmalerei.2 Zudem berichten
auch im Zusammenhang mit der «Dornenkrönung» die Quellen von einer
Wettbewerbssituation. Und schließlich wird Tizian dem Gemälde beson-
dere Bedeutungbeigemessen haben, weil es sich nach einer Pause von etwa
zwei Jahrzehnten um seinen ersten Auftrag für ein monumentales Altar-
bild außerhalb des Veneto handelte.3

29 Tizian, Dornenkrönung Christi, Paris, Musee du Louvre
 
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