VASARI UND DIE FOLGEN
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wirkt, interessieren. «L'Idea» basiert auf der Konstruktion eines Gegen-
satzes zwischen den nicht perfekten Formen der Natur und den von Gott
«aus sich selbst heraus» geschaffenen «Ideen», den Ur- und Musterbildern
der Naturformen, die immer schön und wohlgeordnet sind und keinen Ver-
änderungen unterhegen.139 Der Künstler hat nun bei der Konzeption eines
Kunstwerks in Analogie zum Schöpfungsakt des «höchsten Künstlers» in
seinem Geist eine Vorstellung dieser idealen Schönheit auszubilden;140 sie
dient ihm als Maßstab zur Verbesserung der eben nicht perfekten Natur.
Der theoretischen Darlegung des Modells folgen praktische Ratschläge,
wie sich die Künstler etwa an antiken Skulpturen, in denen die idea mera-
vigliosa bereits präfiguriert sei, schulen könnten;141 und schließlich
Angriffe gegen die «Naturalisten» unter den Malern, die sich eben pro-
grammatisch die nicht perfekte Natur zum Vorbild nähmen und damit
alles, was die «wahre Kunst» ausmache, negierten.142
Neben idea und natura bilden die Begriffe mente undsenso ein wich-
tiges Oppositionspaar in Belloris Ideenlehre, mit denen er den Vorgang
der Wahrnehmung sowohl des Künstlers als auch des Betrachters
beschreibt. Der Verstand (mente) diene dem Maler zur Teilhabe an den
Ideen, wohingegen die Sinne nur den unmittelbaren Natureindruck emp-
fingen. Folglich sei auch nur der über ausreichend mente verfügende
Betrachter in der Lage, die sich im Gemälde manifestierenden göttlichen
Ideen zu erkennen, wohingegen dem einfachen Volk diese tiefere Dimen-
sion des Werks zwangsläufig verborgen bliebe. Dieses betrachte die Kunst-
werke vielmehr allein zur Befriedigung des senso dell 'occhio und sei daher
bereits mit der Nachahmung der unvollkommenen Natur zufriedenzustel-
len. Bedeutsam für die hier interessierende Frage ist in dieser elitären Kon-
struktion nun die Zuordnung von disegno und colore zu den Orten der
Wahrnehmung: Es seien die «schönen Formen», die auf die sich in den
Werken manifestierende Idee verwiesen, während die Farben nur die
Sinne des Betrachters ansprächen.143 Diese Zuordnung der Form bzw. der
Linie zur kognitiven Erfassung, der Farbe hingegen zur Sinneswahrneh-
mung ist im Kern nicht neu. Sie begegnete schon in Vasaris Kritik am vene-
zianischen Publikum, das bereits mit den reizvollen Farben eines Gemäl-
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wirkt, interessieren. «L'Idea» basiert auf der Konstruktion eines Gegen-
satzes zwischen den nicht perfekten Formen der Natur und den von Gott
«aus sich selbst heraus» geschaffenen «Ideen», den Ur- und Musterbildern
der Naturformen, die immer schön und wohlgeordnet sind und keinen Ver-
änderungen unterhegen.139 Der Künstler hat nun bei der Konzeption eines
Kunstwerks in Analogie zum Schöpfungsakt des «höchsten Künstlers» in
seinem Geist eine Vorstellung dieser idealen Schönheit auszubilden;140 sie
dient ihm als Maßstab zur Verbesserung der eben nicht perfekten Natur.
Der theoretischen Darlegung des Modells folgen praktische Ratschläge,
wie sich die Künstler etwa an antiken Skulpturen, in denen die idea mera-
vigliosa bereits präfiguriert sei, schulen könnten;141 und schließlich
Angriffe gegen die «Naturalisten» unter den Malern, die sich eben pro-
grammatisch die nicht perfekte Natur zum Vorbild nähmen und damit
alles, was die «wahre Kunst» ausmache, negierten.142
Neben idea und natura bilden die Begriffe mente undsenso ein wich-
tiges Oppositionspaar in Belloris Ideenlehre, mit denen er den Vorgang
der Wahrnehmung sowohl des Künstlers als auch des Betrachters
beschreibt. Der Verstand (mente) diene dem Maler zur Teilhabe an den
Ideen, wohingegen die Sinne nur den unmittelbaren Natureindruck emp-
fingen. Folglich sei auch nur der über ausreichend mente verfügende
Betrachter in der Lage, die sich im Gemälde manifestierenden göttlichen
Ideen zu erkennen, wohingegen dem einfachen Volk diese tiefere Dimen-
sion des Werks zwangsläufig verborgen bliebe. Dieses betrachte die Kunst-
werke vielmehr allein zur Befriedigung des senso dell 'occhio und sei daher
bereits mit der Nachahmung der unvollkommenen Natur zufriedenzustel-
len. Bedeutsam für die hier interessierende Frage ist in dieser elitären Kon-
struktion nun die Zuordnung von disegno und colore zu den Orten der
Wahrnehmung: Es seien die «schönen Formen», die auf die sich in den
Werken manifestierende Idee verwiesen, während die Farben nur die
Sinne des Betrachters ansprächen.143 Diese Zuordnung der Form bzw. der
Linie zur kognitiven Erfassung, der Farbe hingegen zur Sinneswahrneh-
mung ist im Kern nicht neu. Sie begegnete schon in Vasaris Kritik am vene-
zianischen Publikum, das bereits mit den reizvollen Farben eines Gemäl-