Sauer, Bruno: Der Torso von Belvedere (Gießen, 1894)

Des Torso von Belvedere gedachte mit ein paar besonders
groben Worten Victor Hehn, als er seine Ratschläge, die nicht im
Baedeker stehen, erteilte1)- „Narren, die sich ein Ansehen geben
wollen," schreibt er, „umwandeln freilich mit scheinbarem Staunen
den Torso des Hercules im Vatican, das blose Mittelstück eines
männlichen Leibes, von allen Seiten und treten vor und treten zu-
rück — der Kluge aber lacht sie aus." Er will die gedankenlosen
Nachbeter der einmal herrschenden Kunstdogmen geifseln, aber der
Hieb geht über sie hinaus und trifft die Kenner, die an all dieser Be-
wunderung schuld sind. Jahrhunderte lang haben sie gesündigt und
schliefslich soll die mit den Jahren zur Einsicht gelangte Kunstwissen-
schaft für alle Schuld aufkommen, sie ganz tilgen oder ganz die Bufse
tragen. Dafs ihr jenes gelungen sei, meint Collignon2), der in dem
behaglichen Gefühl, am Ziele zu sein, auf die Krümmen des Weges
zurückblickt und lächelnd sich also vernehmen läfst: „En examinant
les theories auxquelles a donne lieu l'oeuvre d'Apollonius, on ferait
un curieux chapitre de Thistorie des idees modernes sur l'art grec."
Stahr aber, der Verächter der zünftigen Archaeologie, ruft den
Kunstgelehrten zornig zu3): „Wenn man so die verschiedenen Er-
klärungen der Kunstforscher über die ursprüngliche Gestalt des

Sauer, Torso von Belvedere. I