IV.
Eine stattliche Reihe von Kunstwerken begleitet in fast ununter-
brochener Folge die Wandlungen, welche die Polyphemgestalt in der
Literatur durchmacht.
Der homerische Polyphem begegnet uns in der älteren Kunst
nur auf Vasen128). Die Vasenmalerei, von der man realistische
Deutlichkeit von vornherein nicht erwartet, hat sich die Gestaltung
des Ungeheuers nach Möglichkeit leicht gemacht. Das Bild der
Aristonophosvase, das älteste aller odysseischen Monumente, ist rea-
listisch genau in Nebendingen; dafs wir es mit dem homerischen
Hirten zu tun haben, sagt uns Aristonophos ausdrücklich, indem er
die Käseschwinge neben ihn stellt, aber in der Tracht des Hirten
erscheint Polyphem nicht: er ist einfach der nackte Riese. Und da
das Bild den Augenblick darstellt, da der glühende Pfahl wie ein
Drillbohrer in das Stirnauge des Schlafenden gebohrt wird, so erspart
sich der Maler genauere Angabe des Auges, dessen Umrifs mit dem
des Pfahlendes zusammenfallend zu denken ist. Von entscheidender
Bedeutung aber ist, dafs schon in dieser kindlich unbeholfenen Dar-
stellung der Riese keineswegs von Natur einäugig ist, sondern dafs
aufser dem Stirnauge die normalen wenigstens vorhanden, wenn
auch wie im Schlafe geschlossen erscheinen, also dauernd aufser Thä-
tigkeit gesetzt zu denken sind. Bis in die späteste Zeit hat die griechische
Eine stattliche Reihe von Kunstwerken begleitet in fast ununter-
brochener Folge die Wandlungen, welche die Polyphemgestalt in der
Literatur durchmacht.
Der homerische Polyphem begegnet uns in der älteren Kunst
nur auf Vasen128). Die Vasenmalerei, von der man realistische
Deutlichkeit von vornherein nicht erwartet, hat sich die Gestaltung
des Ungeheuers nach Möglichkeit leicht gemacht. Das Bild der
Aristonophosvase, das älteste aller odysseischen Monumente, ist rea-
listisch genau in Nebendingen; dafs wir es mit dem homerischen
Hirten zu tun haben, sagt uns Aristonophos ausdrücklich, indem er
die Käseschwinge neben ihn stellt, aber in der Tracht des Hirten
erscheint Polyphem nicht: er ist einfach der nackte Riese. Und da
das Bild den Augenblick darstellt, da der glühende Pfahl wie ein
Drillbohrer in das Stirnauge des Schlafenden gebohrt wird, so erspart
sich der Maler genauere Angabe des Auges, dessen Umrifs mit dem
des Pfahlendes zusammenfallend zu denken ist. Von entscheidender
Bedeutung aber ist, dafs schon in dieser kindlich unbeholfenen Dar-
stellung der Riese keineswegs von Natur einäugig ist, sondern dafs
aufser dem Stirnauge die normalen wenigstens vorhanden, wenn
auch wie im Schlafe geschlossen erscheinen, also dauernd aufser Thä-
tigkeit gesetzt zu denken sind. Bis in die späteste Zeit hat die griechische