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Scheffler, Carl
Rudolf Levy — Veröffentlichungen des Kunstarchivs, Berlin, Band 17: Berlin: Werkkunst-Verl., 1926

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MATISSE
VON RUDOLF LEVY
Ich sehne mich nach Paris. Ich möchte einmal wieder über
den Boulevard Montparnasse gehen vom Gare bis zur Closerie
und unterwegs auf der Terrasse des Cafe du Dome vom Freunde
Andre mir einen ainer Picon servieren lassen. Ob Herr Berger
das Berliner Tageblatt wieder abonniert hat? Wenn man Mitte
der Vierziger ist, weiß man, daß man unrecht hat, einen Ab-
schnitt seines Lebens noch einmal durchleben zu wollen. Ent-
täuschungen lauern dort, wo Freuden winkten. Und doch, wie
mag es aussehen ? Ich lausche begierig gelegentlich Berichten,
die jetzt in Zeitungsfeuilletons erscheinen. Leute horche ich
aus, die von dort zurückkommen und so manches erzählen,
was ich nicht wissen will; daß Vlaminck ein Automobil gekauft
habe, Picasso jetzt einen steifen Hut trage, Max Jacob seine
reizenden Aquarelle zu 10000 Franken das Stück verkaufe und
die letzte Saison in Deauville zugebracht habe.
Von Henri Matisse wußte niemand Persönliches zu berichten,
aber Leute, die während des Krieges gelegentlich in der Schweiz
Bilder von ihm gesehen hatten, erzählten, daß seine Kunst sich
zu ihrer vollen Reife entwickelt hätte und, ohne von ihrer
künstlerischen Ekstase das Mindeste verloren zu haben, von
einer vollendeten Beherrschung des Ausdrucks und der Mittel
zeugte.
Heute nun fällt mir ein kleines Buch in die Hände, das von
der Nouvelle revue Fran^aise herausgegeben worden ist, und in
welchem zirka 25 Reproduktionen nach seinen Werken ver-
einigt sind. Während ich Seite auf Seite umschlage, wird wieder
stark diese ganze Epoche lebendig, in der die meisten dieser
hier wiedergegebenen Bilder entstanden sind. Und auch eine
leise Trauer bleibt naturgemäß nicht aus, denn nun weiß ich,
daß jene Sammlung, in der ein wohlhabender amerikanischer
Sammler fast 50 der bedeutendsten Bilder Matisses vereinigt
hatte, nicht mehr besteht, sondern in alle Winde zerstreut ist.
Als ich 1907 Matisse persönlich kennenlernte, war in den
Ateliers vom Montparnasse bis zum Montmartre sein Name
schon in aller Munde. Im letzten Herbstsalon war seine „Frau
mit Fächer“ ausgestellt worden, die trotz offizieller Ablehnung
die Kritik doch leidenschaftlich erregte. Ich habe gerade dieses
Bild dann später häufig wiedergesehen und eine gewisse Vorliebe
für dasselbe behalten. Ist mir doch gerade von ihm zum ersten
Male zu Bewußtsein gekommen, daß in den vier Jahren, die seit
dem Tode Pissarros, des eigentlichen Vollenders des Impressio-
nismus, vergangen waren, irgend etwas geschehen war. Dieses

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