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Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker 37

um ein erbetteltes Ei gewickelt, und in heiße Asche gelegt,
alsdann wird es in einen Ameisenhaufen geworfen, wodurch
das „Abnehmen" verschwindet1. In vielen Gegenden Deutsch-
lands ist es ferner Brauch, eine Warze dadurch zu vertreiben,
daß man einen Faden um sie bindet, ihn dann vergräbt und
sowie der Faden verfault, verschwindet auch die Warze2.
Diese Sitte haben auch die Juden übernommen3.

Der Glaube, daß man mittels Fesseln und Netze die in
einem Körper hausenden, schädigenden Geister binden und
sie nach einem beliebigen Ort übertragen kann, ist auf der
Erde weit verbreitet gewesen. In Polynesien herrscht die
Vorstellung, daß man die bösen Geister in Schlingen fangen
kann. Derartige Geisterschlingen gibt es auch bei den Jevhe
(in Afrika)i. Die Shans winden lange Tuchstreifen rund um
solche Bäume, die nach ihrer Auffassung von Dämonen be-
wohnt sind. Auf diese Weise glauben sie die Dämonen fest
eingeschlossen zu haben, so daß sie niemanden schädigen

.Ztschr. d. Ver. f. Volksk. XVII, 169; Ztschr. d. Ver. f. rhein. u. westfäl.
Volksk. 1910, 149.

1 Ztschr. d. Ver. rhein. u. westf. Volksk. 1905, 183. Hier wird also
•die Krankheit auf die Ameisen übertragen; vgl. hierzu Talm. Sabbat 66b:
Der Kranke setze sich an einen Scheideweg. Sieht er eine große Ameise,
•die etwas trägt, so nehme er sie, setze sie in eine Metallröhre, deren
Öffnung er verschließe, mit 60 Siegelringen versiegelt. Dann schüttele er
die Bohre, indem er spricht: „Deine Last komme auf mich und meine Last
auf dich". Da aber schon früher ein anderer Kranker seine Krankheit
dieser Ameise angewünscht haben könnte, so spreche er lieber: „Deine
und meine Last komme auf dich".

2 A. Wuttke, Deutscher Volksabergl.3 311; H. Frischbier, Hexenspruch
u. Zauberhann 1870, 54; Ztschr. d. Ver. f. rhein. u. westfäl. Volksk. 1906, 231;
1911, 228; Ztschr. f. Deutsche Myth. II (1855) 421. Besonders in Westfalen
üblich, was ich selbst erfahren habe.

3 Mitteil. d. Ges. f. jüd. Volksk. 1898, 90.

4 Drobenius, Masken und Geheimbünde Afrikas 1898, 263. In der
"Mythologie Ozeaniens fängt Maui mit der Schlinge die Sonne, um ihren
Lauf aufzuhalten (Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker 138). Diese
Tat wird, wie mir Dr. IT. Graebner mitteilt, in der Südsee bisweilen
•zauberisch nachgeahmt, indem ein Mann, der für irgend eine Arbeit langes
Tageslicht braucht, eine Schlinge aus einem Grashalm oder dergleichen
•herstellt.
 
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