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Michelangelo
Michelangelos, im Anschluss an vorhandene Räume
sogar; in diesen Schranken aber bietet er alle Mittel
auf, die gewollte Metamorphose durchzusetzen: das
Gefühl des Strebenden hier, des Befriedigten dort
hervorzurufen. Nur fehlt der Eintrittshalle immer
noch der abschliessende Oberbau zur Erklärung alles
Übrigen. Unverkennbar ist jedoch das Vor- und Zu-
rücktreten der Mauermasse als solcher. An der
Stirnfläche der einwärts vordringenden Pfeiler stehen
blinde Fenster mit der Frage, wie weit sie für bild-
nerischen Schmuck gedacht waren, der die Schwel-
lung erst recht lebendig machen sollte, während da-
zwischen die zurückweichenden Offnungen, gleich
Wandschränken oder Kästen, mit je zwei dicht an-
einander gedrängten Säulen darin, keinen Zweifel
über ihre Bedeutung übrig lassen: der gewohnten
Selbständigkeit dieses plastisch am IVeiesten ent-
wickelten Gliedes läuft solche Stellung zuwider, sie
kann also nur eine Zwangslage versinnlichen. Diese
unterjochten, eingeschachtelten Säulen wirken wie
invertierte Wortstellung oder eine gewaltsame Satz-
konstruktion, die das leidenschaftliche Ungestüm des
hervorbrechenden, ungeduldig mit der Sprache rin-
genden Gedankens versinnücht. Aus Freigeborenen
sind Sklaven geworden, oder umgekehrt, sie harren
schon ausgebildet und lebensfähig im Schofs der
Mauer, die sie gebären soll zu eigner Tätigkeit; in
solchem Gleichnis würden wir etwa die Gestaltung
ausdrücken, wenn die vorliegende Erscheinung um
Plastik wäre. Das eben ist es, was der Bildner Mi-
chelangelo sagen will und mit den überkommenen
Michelangelo
Michelangelos, im Anschluss an vorhandene Räume
sogar; in diesen Schranken aber bietet er alle Mittel
auf, die gewollte Metamorphose durchzusetzen: das
Gefühl des Strebenden hier, des Befriedigten dort
hervorzurufen. Nur fehlt der Eintrittshalle immer
noch der abschliessende Oberbau zur Erklärung alles
Übrigen. Unverkennbar ist jedoch das Vor- und Zu-
rücktreten der Mauermasse als solcher. An der
Stirnfläche der einwärts vordringenden Pfeiler stehen
blinde Fenster mit der Frage, wie weit sie für bild-
nerischen Schmuck gedacht waren, der die Schwel-
lung erst recht lebendig machen sollte, während da-
zwischen die zurückweichenden Offnungen, gleich
Wandschränken oder Kästen, mit je zwei dicht an-
einander gedrängten Säulen darin, keinen Zweifel
über ihre Bedeutung übrig lassen: der gewohnten
Selbständigkeit dieses plastisch am IVeiesten ent-
wickelten Gliedes läuft solche Stellung zuwider, sie
kann also nur eine Zwangslage versinnlichen. Diese
unterjochten, eingeschachtelten Säulen wirken wie
invertierte Wortstellung oder eine gewaltsame Satz-
konstruktion, die das leidenschaftliche Ungestüm des
hervorbrechenden, ungeduldig mit der Sprache rin-
genden Gedankens versinnücht. Aus Freigeborenen
sind Sklaven geworden, oder umgekehrt, sie harren
schon ausgebildet und lebensfähig im Schofs der
Mauer, die sie gebären soll zu eigner Tätigkeit; in
solchem Gleichnis würden wir etwa die Gestaltung
ausdrücken, wenn die vorliegende Erscheinung um
Plastik wäre. Das eben ist es, was der Bildner Mi-
chelangelo sagen will und mit den überkommenen