Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

Einleitung

tingenz mit einbezogen werden muß.2 In Verbindung mit diesem Kom-
plex der menschlichen Intentionalität steht die Beobachtung, daß die
Beschreibung solcher historischer Handlungen völlig anders ist, als es
die Handelnden aus ihrer Perspektive gesehen hätten. Daraus ergibt
sich, daß diese Handlungen kaum aus der Perspektive der Intentiona-
lität dargestellt werden können.3 Historische Handlungen werden je-
weils als Teilstücke größerer Einheiten beschrieben und vor allem in
Verbindung mit oder vor dem Hintergrund von Ereignissen, die später
stattgefunden haben. Ein besonders gutes Beispiel für diese Überle-
gung ist der sogenannte Kriegsplan des Perikles (vgl. 138). Thukydides
beschreibt ihn im Wissen um den Verlauf, den der Peloponnesische
Krieg genommen hat. Losgelöst von diesen Ereignissen wäre die Ein-
ordnung und vor allem die Diskussion der mit dieser defensiven Strate-
gie verbundenen Perspektiven kaum möglich.4

Dieses Spannungsverhältnis von Intentionalität und historischem
Verlauf demonstriert, warum so etwas wie ein »inneres Verstehen« ge-
rade im Hinblick auf das Phänomen der historischen Person des Peri-
kles unmöglich ist. Denn jede Art von authentischem Zeugnis, das
überhaupt einen wie immer gearteten Aufschluß über Perikles’ persön-
liche Motive und Ideen, d. h. seine individuellen Handlungsabsichten
in den jeweiligen Lebenssituationen geben könnte, fehlt nahezu voll-
ständig.5 Selbst die bei Thukydides überlieferten Reden des Perikles,6
wie auch immer man ihre Authentizität bewertet (vgl. dazu 14 f.), ge-
ben hier keine Hinweise. Sie repräsentieren eine programmatische
und allgemeingehaltene Darstellung attischer Vorstellungen. Sie haben
ihren festen Stellenwert im Werk des Thukydides, und die Bedeutung
ihrer Aussagen im einzelnen ist außerhalb dieses, von Thukydides be-
stimmten, Kontextes nicht auf eine individuelle Ebene zu beziehen.

Daher empfiehlt sich für Perikles ein anderes Vorgehen. Es ist sinn-
voller, die Verhältnisse und die in ihnen liegenden Bedingungen von
Veränderungen, die das Handeln, speziell das politische Handeln, da-
mals prägten, zu rekonstruieren. Diese Erklärungsweise beschränkt
sich auf den äußeren Wirkungszusammenhang. Im Gegensatz zu der

2 Vgl. dazu Rüsen ebd. 41 f.; er sieht in der Kontingenz sogar den empiri-
schen Schatten der menschlichen Freiheit.

3 Vgl. dazu A. C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte, Frank-
furt a. M. (1980) 294 und 419; vgl. auch Rüsen a. a. O. 35 und 108.

4 Vgl. dazu 12f. Das gesamte Konzept der Interpretation von z. B. J. de Ro-
milly (1979 = 1965) basiert auf dieser Verbindung.

5 Vgl. dazu Danto a. a. O. 419.

6 Thuk. 1,140-144; 2,13; 2,35-46; 2,59-64.
 
Annotationen