II. ATHENS AUSSENPOLITIK:
AUSGLEICH UND EXPANSION
Die Frage, ob Athen um oder vor 450 einen Frieden mit dem Perser-
könig geschlossen hat, ist von entscheidender Bedeutung für die Ein-
schätzung des attischen Selbstverständnisses. Athen als Führerin des
Seebundes bezog die Legitimation für diese Funktion aus dem Kampf
gegen die Perser. Neben Aspekten, die vorrangig das Verhältnis Athens
zu seinen Bundesgenossen betreffen, ist in diesem Zusammenhang die
Problematik des Kallias-Friedens ausschlaggebend für die Frage, ob in
Athen, entweder unter dem Einfluß des kimonischen Sieges am Eury-
medon oder später, möglicherweise im Zusammenhang mit einem
wachsenden Einfluß des Perikles, eine Umorientierung stattgefunden
hat von einer strikt auf die Bekämpfung der Perser zu einer auf Frieden
und Neuorganisation des Bundes ausgerichteten Politik. Mit den Stich-
worten Ausgleich und Expansion sind diese Tendenzen nur unzuläng-
lich beschrieben. Andererseits vergegenwärtigen sie die Spannweite der
politischen Richtungen, mit denen in Athen im Hinblick auf die Orien-
tierung des Seebundes gerechnet werden muß.
Vor allem die Charakterisierung der perikleischen Politik in ihrem
Verhältnis zur prospartanischen Politik Kimons und seiner Anhänger
hängt wesentlich von der Beantwortung dieser Frage ab. Die Authenti-
zität des Kallias-Friedens ebenso wie seine Datierung entscheiden auch
über die Authentizität des sogenannten Friedenskongresses und der da-
mit verbundenen Forderung nach dem Wiederaufbau der von den Per-
sern zerstörten Tempel. Letztlich geht es um die Frage, ob die Phase
der attischen Politik, für die der Name des Perikles steht, mit dem An-
spruch einer »Friedenspolitik« verhüllt wurde oder ob sie ganz offen
als eine Politik der Macht- und Herrschaftssicherung auftrat.
1. Der Kallias-Friede und seine Überlieferung
Die Untersuchung von K. Meister hat die Diskussion um die Datie-
rung und Existenz des Kallias-Friedens neu belebt.1 Die bis dahin, vor
1 Meister (1982), vor allem 6 ff. über das Datum des Kalliasfriedens in den
AUSGLEICH UND EXPANSION
Die Frage, ob Athen um oder vor 450 einen Frieden mit dem Perser-
könig geschlossen hat, ist von entscheidender Bedeutung für die Ein-
schätzung des attischen Selbstverständnisses. Athen als Führerin des
Seebundes bezog die Legitimation für diese Funktion aus dem Kampf
gegen die Perser. Neben Aspekten, die vorrangig das Verhältnis Athens
zu seinen Bundesgenossen betreffen, ist in diesem Zusammenhang die
Problematik des Kallias-Friedens ausschlaggebend für die Frage, ob in
Athen, entweder unter dem Einfluß des kimonischen Sieges am Eury-
medon oder später, möglicherweise im Zusammenhang mit einem
wachsenden Einfluß des Perikles, eine Umorientierung stattgefunden
hat von einer strikt auf die Bekämpfung der Perser zu einer auf Frieden
und Neuorganisation des Bundes ausgerichteten Politik. Mit den Stich-
worten Ausgleich und Expansion sind diese Tendenzen nur unzuläng-
lich beschrieben. Andererseits vergegenwärtigen sie die Spannweite der
politischen Richtungen, mit denen in Athen im Hinblick auf die Orien-
tierung des Seebundes gerechnet werden muß.
Vor allem die Charakterisierung der perikleischen Politik in ihrem
Verhältnis zur prospartanischen Politik Kimons und seiner Anhänger
hängt wesentlich von der Beantwortung dieser Frage ab. Die Authenti-
zität des Kallias-Friedens ebenso wie seine Datierung entscheiden auch
über die Authentizität des sogenannten Friedenskongresses und der da-
mit verbundenen Forderung nach dem Wiederaufbau der von den Per-
sern zerstörten Tempel. Letztlich geht es um die Frage, ob die Phase
der attischen Politik, für die der Name des Perikles steht, mit dem An-
spruch einer »Friedenspolitik« verhüllt wurde oder ob sie ganz offen
als eine Politik der Macht- und Herrschaftssicherung auftrat.
1. Der Kallias-Friede und seine Überlieferung
Die Untersuchung von K. Meister hat die Diskussion um die Datie-
rung und Existenz des Kallias-Friedens neu belebt.1 Die bis dahin, vor
1 Meister (1982), vor allem 6 ff. über das Datum des Kalliasfriedens in den