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terlichen Charakter aufweist, ist die Hypothese von Inschriftenbändern,
die vorher deren Stelle eingenommen haben sollten379, nur denkbar,
wenn man annimmt, dass diese Inschriften allenfalls kurz nach ihrer
Herstellung durch die Metallschmuckbänder ersetzt worden wären. Allein
wegen der Parallelen zu den Mailänder Situlen, die Schriftbänder haben,
besteht aber kein zwingender Grund, solche Inschriftenbänder überhaupt
anzunehmen.

5. Weitere mittelalterliche Elfenbeinsitulen und deren liturgi-
sche Verwendungsmöglichkeiten

Die älteste der vier erhaltenen Elfenbeinsitulen wird nach ihrem Stifter
Gotfredus-Situla genannt; sie befindet sich im Mailänder Domschatz
(Abb. 7).380 Diese Situla besitzt einen Henkel aus gegossenem Silber,
aber keinen Inneneimer. Die Masse des Gefässes betragen 18,5 cm in
der Höhe und 12,4 cm im oberen, 9,5 cm im unteren Durchmesser. Der
Boden, ebenfalls aus Elfenbein, ist eingesetzt. Der Henkel ist noch origi-
nal, die Löwenkopf-Agraffen, mit denen er am Elfenbein befestigt ist,
sind Kopien aus dem 19. Jahrhundert nach den damals korrodierten Ori-
ginalen.381 Bis im 18. Jahrhundert befand sich das Gefäss in der Kirche S.
Ambrogio in Mailand.

Die Situla ist durch fünf Arkaden gegliedert, unter denen die Jungfrau
Maria mit dem Kind und die vier Evangelisten thronen. Jeder Arkadenbo-
gen trägt eine Inschrift. Unter der Arkadenpartie läuft ein Ornamentstrei-
fen, der mit einem Mäander verziert ist. Den oberen Abschluss bildet ein
weiterer Ornamentstreifen unter einem davon abgesetzten Inschriftband.
Alle Inschriften basieren auf Versen aus dem Carmen paschale des Coe-
lius Sedulius Scotus382 und befassen sich emblematisch mit der Mutter-
gottesschaft Mariens und den vier Evangelisten.

Die Inschrift am oberen Gefässrand hat folgenden Text: + VATES
AMBROSI GOTFRED(us) DAT TIBI S(an)C(t)E: VAS VENIENTE SACRA(m)
SPARGENDV(m) CESARE LY(m)PHA(m).383 Diese Inschrift nennt also den
Stifter und bezieht sich dabei zugleich auf den Anlass der Stiftung. Aus-
serdem ist auf der Situla dargestellt, wie man sich ihren Gebrauch zu
denken hat; denn der Engel zur Linken Mariens trägt in seiner linken
Hand eine ebensolche Situla, während sein Gegenstück ein Weihrauch-
gefäss hält. Aus der Inschrift geht eindeutig hervor, dass das Gefäss für
tibi sancte veniente cesare das heilige Nass aussprengen soll. Und vates
ambrosi gotfred schenkte es dem Kaiser zu diesem Zweck, vielleicht an-
lässlich eines kaiserlichen Einzugs in Mailand.384

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