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Beck, Paul A. [Hrsg.]
Schwäbisches Archiv: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst und Kultur Schwabens — 28.1910

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Nr. 5
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Müller, Karl Otto: Ellwanger Urgichten aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22619#0098

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74

in den Urgichten 2 mal auf, bei Wil-
helm Schneider (Ziffer 1 n) und Peter
Lebkücher (V), bei dem die Strafe noch
durch das Schleifen (zum Richtplatz)
erschwert wurde. Der Verurteilte wurde
dabei auf eine Ochsenhaut oder dgl. der-
gestalt gebunden, daß Schultern und
Haupt der Verletzung durch das Pflaster
und die Steine ausgesetzt waren und so
von Rossen zur Richtstätte geschleift.
Die Strafe der Talion, d. h. der Ver-
geltung mit demselben Übel, das sie
zugefügt haben, trifft die Mordbrenner,
Männer wie Frauen (Ziffer 7 und VI);
wer ein Haus vorsätzlich angezündet hat,
wird, wenn durch den Brand ein Mensch
umkommt, mit Verbrennung bestraft.
Auffällig erscheint die Ertränkung des
Michael Schuster, (Ziffer XXIV); denn
diese Strafart ist bei Männern im allge-
meinen nur bei Eltern- oder Gattenmord
und bei Bigamie üblich, während sie all-
gemein bei Frauen an Stelle des Hän-
gens zu treten pflegt. Z Seine zahlreichen
Straftaten, die wiederholten Betrügereien,
die Urkundenfälschung, die Diebstähle und
Straßenräubereien, der Totschlag (Er-
stechen eines Menschen beim Spiel) viel-
leicht auch die „Steinbeicht" mögen zu
dieser Strafe Veranlassung gegeben haben;
möglicherweise beruht diese von der für
Personen seiner Art abweichende Todes-
strafe auf einer Fürbitte oder einem
Wunsche des Angeklagten selbst. Ergötz-
lich wirkt es, daß selbst der Mainzer
Nachrichter vor seinen Diebsgriffen nicht
gesichert war.
Das Vierteilen war die Strafe der
Verräter?) So wird auch der des
„militärischen Landesverrats" schuldige
Claus Hamel, der treulos „zwei Muß in
einen Hafer kochen" wollte, für seine Ver-
räterei mit dieser grausamen Strafe be-
legt (Ziffer III).
Für geringere Übeltaten, bei welchen
die Todesstrafe zu hart erschien, war,
wie es scheint, insbesondere das mit
Ruten Ausschlagen die hauptsächlichste
Strafe; sie wird in 6 Fällen (Ziffer 10,
XII, XIII, XVI, XVIII, XIX) verhängt,
bei leichteren, nur vereinzelten Dieb-
stählen, bei Verleumdungen, sodann
namentlich bei böslichen Verlassen von
Weib und Kind, (XIII, XVIII, XIX),

bei Betrügereien, merkwürdigerweise sogar
in einem „Meineids"fall, allerdings nicht
einem solchen im heutigen Sinne, sondern
in dem Sinne des Bruches eines eidlich
gegebenen Versprechens (Ziffer XII) Auf
Ehebruch stand — nach Ziffer XVIII und
XIX zu schließen — Todesstrafe; doch
wurden die dort genannten ungetreuen
Ehemänner begnadigt und „nur" mit
Ruten ausgeschlagen. Wir finden nicht
nur, daß den Übeltätern von mitleidigen
Fürbittern mitunter eine mildere, ehren-
vollere Todesstrafe, als der Strang er-
beten wurde, sondern auch, daß bisweilen
einem dem Strang verfallenen Übeltäter
die Lebensstrafe und wie es scheint, über-
haupt jede Strafe, geschenkt wurde; so
bitten die Dinkelsbühler für einen recht
ungeratenen Sohn ihrer Vaterstadt, der
von früher Jugend an oftmals die Be-
griffe von Mein und Dein nicht genau
unterschieden hatte, um Begnadigung und
bringen ihn vom Galgen frei. Diese
den benachbarten, befreundeten Reichs-
ständen, namentlich den höheren unter
ihnen, ehrenhalber eingeräumte Befugnis
des Freibittens wurde aber schließlich so
mißbraucht, daß manche Städte sich im
Interesse der öffentlichen Sicherheit ge-
zwungen sahen, Verbote gegen Berück-
sichtigung solcher Fürbitten der „Fürsten,
Herren und Städte, geistlich oder welt-
lich", zu erlassen; nur für den „römischen
Kaiser oder König" wurde eine Aus-
nahme von diesem Verbot^) gestattet.
Zum Schlüsse ist noch kurz auf die
Art und Weise, wie diese Geständnisse
(Urgichten) zustande kamen, einzugehen.
Wenn wir diese einzelnen Geständnisse
durchsehen, können wir uns schwerlich
der Annahme verschließen, daß wenigstens

Vgl. Knapp a. a. O., S. 57; Grimm,
Deutsche Rechtsaltertümer II, 278 ff.
-) Vgl. Grimm, D. R. Altert. II, 272;
Knapp a. a. O. S. 58. Über diese verschiedenen
noch in der Carolina (llonslitutio criminalis
Carolina, Peinl. Gerichtsordnung Karls V.)
in solcher Weise festgesetzten Straftaten, vgl. da-
selbst die Artikel: 124 (Bierteilung), 125 (Feuer-
tod), 137 (Rad), 159, 162 (Galgen), 126, 127,
129, 137, 148 (Schwert), 124, 130, 137, 193
(Verschärsung durch Schleifung).
s) Vgl. z. B. Rotes Buch der Stadt Ulm
Art. 165, ferner einen Zusatz vom 13. XII. 1441
im Ravensburger Stadtrecht; auch Knapp a. a. O.
S. 127 ff.
 
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