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C3 30 x=>

Gedanken binju: „Jnncrlicb habe ich mich
noch niemals To gefreut wie in dieTem
Hugenblick; und ich lache noch mehr über
den erjäbler als über die köftlicbe 6e-
febiebte." Denn gerade in feinem f)umor
offenbart fieb am unmittelbarften die reife
und reiche flßenfcblicbheit Omm Krögers,
offenbart Ticb der fiebere 6rund, auf dem
feine gelaffene Weltanfcbauung beruht, wie
er das in der erwähnten I)andfcbrift weiter-
bin feibft fo ausdrückt: „r)umor ift die
Gabe, allen Widerwärtigkeiten des Ccbens
die Zuverficbt entgegenjufetjen, daß unfer
erdenwallen nur das Scbattenfpicl eines
hinter ihm ftebenden befferen Dafeins ift,
daher eine tragifebe Huffaffung nicht ver-
dient." Die tleberwindung der Tragik des
irdifeben Dafeins durch die transzendentale
Grfaffung des hinter der Stielt der finn-
fälligen Brfcbeinungen verborgenen Sinns
und Ziels des Ccbens — das ift echter
deutfeber f)umor, und bei keinem anderen
unferer Dichter außer Wilhelm Raabe, der
auch jugleich Tragiker und I>umorift. ift,
tritt dieter r)umor fo rein und voll ?u Cage
wie bei X^imm Kröger.

Die Zuverficbt, das 6efühl des Ge-
borgenfeins in der Hllgüte des Welten-
feböpfers, die folebe bumoriftifebe 6r-
bebung über die Sorgen und Röte des HU-
tagsdafeins ermöglichen, ertöten nun aber
keineswegs den Willen, das Pflicht- und
Verantwortlicbheitsgefübl. fflag der Dich-
ter auch einmal leite über die Ceute fpotten,
„denen alles willkommen ift, ihre auf Cohn
und Strafe gerichtete Weltanfcbauung ?u
rechtfertigen" — im Grunde bekennt er
Ticb doch ?u demTelben Glauben, nur daß
er viel tiefer gräbt und das Gericht ins
Jnnerfte des fßenfebenberjens verlegt, To
daß es einer von außen kommenden Hb-
reebnung und Hbwägung der Gedanken
und Caten garniebt bedarf, wennfebon eine
äußerlidie Sühne von den Schuldigen viel-
fach (To in den Dovellen „Jm Hebel" und
„Des Reiches Kommen") freiwillig gefuebt
wird als handgreifliche Bcfiegelung ihrer
TeeliTcben Cäuterung, als auch Tacblicbe Be-
friedigung ihres wohl einmal in leiden-
fcbaftlicber Hufwallung oder eigenfinniger
Verftocktbeit vergewaltigten, aber nie gan?
ertöteten Gerechtigkeitsgefühls, das ihren
echt niederdeutfeben I)er?en dureb lange 6c-
Tcblecbterfolgen unauslöfeblicb eingeimpft
ift. So unerbittlich eingeimpft ift, daß es
in feiner tleberfpannung mitunter gerade
?ur Quelle febwerfter Schuld wird, wie in
der novelle „Sin tinbedingter", oder daß
es Kleinigkeiten eine krankhaft über-
triebene Bedeutung ?ulegt wie der Vater

in „Daniel Darh", To daß der I)err des
Rimmels Tclbft begütigend tröTten muß:
„6s war nicht To Tcblimm!"

Wie X3imm Kröger To für alle Ginjel-
TchickTale, die er vor uns entrollt, und feien
Tie noch To Tcbwer und anfänglich nieder-
drüd?cnd, eine innerlich wahrhaftige ver-
Töbnende CöTung findet, fo fuebt er auch
den großen Geiftes- und Lebenskampf, in
dem wir alle fteben: das Ringen um eine
Verftand und Gemüt gleichermaßen be-
friedigende, unferem innerften, unterem
deutfeb-germanifeben Wefen wirklich ent-
Tprecbende Weltanfcbauung, in f)armonie
aufjulöfen. Riebt mit dogmatifeben, tbeo-
logifcb-pbilofopbifcben formein, fondern
als Dichter durch die fflittel feiner Kunft,
indem er die religiöfen Probleme in warm
pulfierendes Ceben auflöft, Tie an Tucben-
den, irrenden und findenden blutvollcn
Geftalten veranfebauliebt. Daß ihm Tolcbcs
gelingen konnte, ohne äußerlich das 6ebiet
der „I)ctmatkunft" ju überTcbreiten, ver-
dankt er Tcinem heimatlichen Volkstum,
deTTen Vertreter ja von jeher die Tcbein-
baren WidcrTprücbe des Eebens, die RätTcl-
fragen des Dafeins in ihrem unverfälfebt
niederdeutfeben I)erjen befonders Tcbwer
getragen und immer von neuem bin und her
gewäljt haben, wie denn Klaus Grotb cinTt
bekannte, daß an der Mittagstafel feines
Vaters, des I)eider ffiüllers, fo Cicf-
finniges gefproeben fei, daß er auch nachher
über Gott und tlnfterblicbkeit in Büchern,
und Teien Tie TelbTt von Schopenhauer ge-
Tcbricben, nichts BeTTeres geleTen habe.
BeTonders gern gibt Tamm Kröger der-
artige religiös beTtimmtc Dichtungen in
der form eigener Kindbeits- und jfugend-
erinnerungen, und dieTe Schöpfungen, allen
voran die köftlicbe Skijjenreibe „Vom
lieben 6ott", gehören jum Jnnigften und
Grgreifendften, was er uns überhaupt ge-
febenkt bat. Zuletjt aber bat er dann noch
einmal alle diefe Cöne ?u einer gewaltigen
religiöfen Symphonie jufammengefaßt und
diefes in feiner freibeit und Weite wahr-
haft deutfebe Cedeum „Dem unbekannten
Gott!" gewiffermaßen als fein religiöfes
Vermächtnis an den Schluß der neuen 6e-
famtausgabe feiner Dovellen geftellt.
fragt man nach einer Dichtung, die das
Ringen unferer Zeit um einen lebendigen
deutfeben Gottesglauben am umfaffendften
und tiefften wiederfpicgelt, fo wird man
hinfort nur auf diefes Werk des Siebzig-
jährigen verweifen dürfen, tlnd wird daju
bemerken, daß diefe große Dovellc gleich-
zeitig als reine Dichtung böcbften äftbeti-
feben Hnfprücben genügt, da trot? der
 
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