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II. RAFFAEL'S JUGEND UND LEHRZEIT.

und wird leicht in der Charakteristik eintönig; dafür weiss er uns durch
den milden Ausdruck und einzelne anmuthige Bewegungen seiner Ge-
stalten, die wir bei seinen näheren Kunstgenossen vergeblich suchen würden,
zu erfreuen. Giovanni Santi ragt weit über die Mehrzahl der letzteren
hinaus, und hat sich als Lehrer gewiss von beschränkter Einseitigkeit
ferngehalten. War er nun in der Lage, seinem Sohne Raffael Unter-
richt zu ertheilen?
Vielleicht schon in reiferem Alter heiratete Giovanni Santi die
Tochter des Battista Ciaria in Urbino, mit Namen Magia, die ihm am
Charfreitag, den 28. März 1483, einen Sohn: Rafsael gebar. Schon im
Jahre 1491 (7. October) verlor Rasfael seine Mutter. Giovanni schritt
im Jahre darauf zur zweiten Ehe mit der Tochter eines Goldschmiedes,
Bernardina Parte, erfreute sich aber nicht lange des neuen ehelichen
Glückes, da er bereits am 1. August 1494 verstarb. Sein Tod war ein
hinreichend wichtiges Ereigniss, um in einem Briefe der jungen Herzogin
Elisabeth an ihre Schwägerin Isabella Gonzaga besonders vermerkt zu
werden. *)
Rasfael hatte bei dem Tode seines Vaters das elfte Lebensjahr erst
um wenige Monate überschritten. Dadurch wird es zweifellos, dass, wenn
sich in Rasfael künstlerische Eigenschaften Giovannis wiederholen, dieses
ungleich mehr auf Vererbung als auf Lehre und Unterricht beruht. Nur
die einfachsten Handreichungen, die elementarsten Kunstgrisfe kann er
dem Vater abgelauscht haben. Wer den verwaisten Knaben weiter in
der Malerei unterwies, ist uns freilich noch vollständig unbekannt.
Die von Vasari erzählte Legende findet zwar keine unbedingt gläu-
bige Gemeinde mehr; mit einiger Einschränkung wird sie aber noch immer
weiter gesponnen. Nach Vasari führte Giovanni Santi selbst noch sein
Kind unter heissen Thränen der Mutter zu Perugino. Gegenwärtig lässt
man Rasfael bis zum Tode Giovannis im väterlichen Hause leben und
zeichnen. Sobald er den Vater verlor, wanderte er auf Geheiss des
Vormundes und den Rath der Freunde nach der umbrischen Hauptstadt.
Aeussere und innere Gründe sprechen aber für ein längeres Verweilen
Raffaels in seiner Heimat. In den Gerichtsakten, welche in dem Erb-
streite zwischen Rassael's Vormund, dem Erzpriester Dom Bartolomeo
Santi, und seiner Stiefmutter aufgenommen wurden, wird er erst in einer
Urkunde vom 13. Mai 1500 als dauernd abwesend von Urbino be-
zeichnet. Der Notar nimmt für den Abwesenden eine Summe Geldes

*] Campori, Notizie e documenti per la vita di Giovanni Santi e di
Raffaello Santi. Modena 1870. p. 4.
 
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