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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Knauth, Johannes: Erwin von Steinbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0060
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Abb. 5i. Zwickelfüllung der Wandarkatur an der
westlichen Giebelwand.

als der Repräsentant selbstbewussten Bürgerstolzes
dienen konnte. (Abb. 25). Ulrich führte bis zu seinem
Tode im Jahre 1419 den Turmbau bis kurz unterhalb
des Helmanfanges; nach neuem Plan ist derselbe als-
dann von seinem Nachfolger Johannes Hültz von
Köln im Jahre 1489 bis zur madonnengekrönten
Spitze fertiggestellt worden. Als eine Wiederauf-
nahme des Erwinschen Planes kann der Turmbau
der beiden Meister nicht angesehen werden. Er ist
etwas vollständig Neues und Selbständiges und
musste dies auch sein in Anbetracht der durch den
Bau der Glockenstube geschaffenen neuen Verhält-
nisse. Der nunmehr in seinen Massen gewaltige,
eine geschlossene Masse bildende Unterbau verlangte
gebieterisch einen weit über die bescheidenen Höhen-
abmessungen des Erwinschen Planes hinausgehenden
Aufbau. Nach dem Risse B wäre in Höhe des Helm-
anfanges bereits die Höhe der Kreuzblume der
Erwinschen Türme erreicht worden. Diese noch
mehr gesteigerte Entwickelung in der vertikalen
Richtung entspricht aber auch so recht dem in über-
kühnen Konstruktionen sich selbst übertreffenden
Geist der späten Gotik. Ein ungeheueres technisches
Können musste zu einem handwerklichen und selbst-
bewusst bürgerlichen Virtuosentum führen, zu einem
« Nit höher die Kunst », wie der Spruch auf dem

Abb. 52. Zwickelfüllung der Wandarkatur im
Nordturm.

Grabstein des Johannes Hültz an der St. Johannes-
kapelle lautete.

Wir haben damit den Verlauf der Baugeschichte
der Strassburger Münsterfassade und zugleich das
Schicksal des schönsten gotischen Bauplanes ver-
folgt, den der gotische Stil auf deutschem Boden
geschaffen hat. Aber trotz aller Verstümmelungen
und Vergewaltigungen, sieghaft strahlt heute noch
die unsterbliche Seele wahrer echter Kunst aus dem
Werke des grossen Meisters. Die Erwinsche Fassade,
wie oft ist sie besungen und verherrlicht worden!
Wer hat nicht schon voller Ergriffenheit vor dem
gewaltigen Werke gestanden, wenn die Strahlen
der untergehenden Sonne den Bau in flüssiges Gold
tauchen, wenn die unzähligen Einzelheiten, diese
verwirrende Menge Pfosten und Säulchen, Fialen
und Blumen ihren Schatten auf den bronzefarbenen
Grund der Quaderwand werfen, damit den Reich-
tum, die Mannigfaltigkeit des architektonischen
Schmuckes ins Ungemessene vermehren. Oder in
den Stunden der Dämmerung, wenn die Einzel-
formen zugrossen Massen zusammenfliessen und nur
die einfachen starken Verhältnisse der grossen Linien
des Bauwerks in die Erscheinung treten.

Klarheit und Wahrheit im konstruktiven Auf-
bau, Harmonie der Massenverteilung, wundervolle

Abb. 53.

Zwickelfüllungen der Wandarkatur im Nordturm.

Abb. 54.
 
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