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Abb. 55 u. 56. Blendmasswerke unterhalb der ersten Strebepfeilerabsetzungen.
Abb. 57.
Abb. 57 — 59. Zwickelfüllungen an den Turm-
strebepfeilern.
Anmut der architektonischen Einzelbildungen, dabei eine
märchenhaft üppige Fülle schönsten Ornamentes kennzeichnen das
Werk Erwins.
Anderseits darf nicht verkannt werden, dass bei dem verschwende-
rischen Reichtum architektonischen Schmucks die erstaunliche tech-
nische Virtuosität den Steinmetzen und Bildhauer bisweilen hart an
die Grenzen geführt hat, die durch den Charakter des Materials, die
natürlichen Eigenschaften des Werksteines von vornherein vorge-
zeichnet sind. (Abb. 35 bis 42). Jene schlanken, überschlanken
Säulchen, Stäbe und Fialen legten die Verwendung des Steinmaterials
in aufrecht gestelltem natürlichen Lager nahe, die Sicherheit der Kon-
struktion sodann verlangte eine Unmenge von versteckt angebrachten
Ankern, Klammern, Dübeln und so fort. Die Folgen zeigen sich
Abb. 58.
heute in dem erschrecklichen Zustand der Zer-
störung, den einzelne Teile der Fassade darbieten,
hervorgerufen durch die Verwitterung des Steines
infolge von Frostbildungen sowie die verderbliche
Sprengwirkung der oxydierenden Eisenteile. Und
auch in ästhetischer Hinsicht hat das Stilprinzip
Erwins zu mancher
Übertreibung geführt,
Mängel, welche je-
doch den hohen künst-
lerischen Wert des
Gesamtwerkes nicht
zu beeinträchtigen
vermögen.
Die architekto -
nische Linie, diese
Versinnlichung geheim wirkender
Kräfte, die der Künstler in die
lebendige Wirklichkeit einführt, hat
als Zeichen dessen den schönsten
Schmuck natürlichen lebendigen
Pflanzenwerks erhalten. Überall da,
wo der Fluss der Linie zu neuen
Bildungen ausgeholt, sich in Ver-
zweigungen auflöst und damit ein
Abb. 59.
intensiveres Leben betätigt, oder aber im Wimperg
und Fiale ausstrahlt, entsprosst üppiges Laubwerk
dem toten Gestein, Blatt und Blume, wie sie Baum
und Strauch der Heimat spenden, in köstlicher
Frische und unbegrenzter Mannigfaltigkeit, unter-
stützt durch eine meisterhafte Technik.
Wer das Wesen
der Gotik erkannt
hat, wird verstehen,
dass nur das natura-
listische lebendige
Ornament dem Stil,
der die Materie zu
vergeistigen ver-
mocht hat, genügen
konnte. Die Blüte-
zeit der gotischen Baukunst ist denn
auch die Zeit eines wunderbaren
Naturalismus im Ornament. Auf der
Höhe seiner Entwickelung zeigt sich
dasselbe in Strassburg bereits beim
Langhaus, dem Werke der Vor-
gänger Erwins. Demgegenüber lässt
das Ornament am Westbau bereits
leise Anzeichen der Manier erkennen,
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Abb. 55 u. 56. Blendmasswerke unterhalb der ersten Strebepfeilerabsetzungen.
Abb. 57.
Abb. 57 — 59. Zwickelfüllungen an den Turm-
strebepfeilern.
Anmut der architektonischen Einzelbildungen, dabei eine
märchenhaft üppige Fülle schönsten Ornamentes kennzeichnen das
Werk Erwins.
Anderseits darf nicht verkannt werden, dass bei dem verschwende-
rischen Reichtum architektonischen Schmucks die erstaunliche tech-
nische Virtuosität den Steinmetzen und Bildhauer bisweilen hart an
die Grenzen geführt hat, die durch den Charakter des Materials, die
natürlichen Eigenschaften des Werksteines von vornherein vorge-
zeichnet sind. (Abb. 35 bis 42). Jene schlanken, überschlanken
Säulchen, Stäbe und Fialen legten die Verwendung des Steinmaterials
in aufrecht gestelltem natürlichen Lager nahe, die Sicherheit der Kon-
struktion sodann verlangte eine Unmenge von versteckt angebrachten
Ankern, Klammern, Dübeln und so fort. Die Folgen zeigen sich
Abb. 58.
heute in dem erschrecklichen Zustand der Zer-
störung, den einzelne Teile der Fassade darbieten,
hervorgerufen durch die Verwitterung des Steines
infolge von Frostbildungen sowie die verderbliche
Sprengwirkung der oxydierenden Eisenteile. Und
auch in ästhetischer Hinsicht hat das Stilprinzip
Erwins zu mancher
Übertreibung geführt,
Mängel, welche je-
doch den hohen künst-
lerischen Wert des
Gesamtwerkes nicht
zu beeinträchtigen
vermögen.
Die architekto -
nische Linie, diese
Versinnlichung geheim wirkender
Kräfte, die der Künstler in die
lebendige Wirklichkeit einführt, hat
als Zeichen dessen den schönsten
Schmuck natürlichen lebendigen
Pflanzenwerks erhalten. Überall da,
wo der Fluss der Linie zu neuen
Bildungen ausgeholt, sich in Ver-
zweigungen auflöst und damit ein
Abb. 59.
intensiveres Leben betätigt, oder aber im Wimperg
und Fiale ausstrahlt, entsprosst üppiges Laubwerk
dem toten Gestein, Blatt und Blume, wie sie Baum
und Strauch der Heimat spenden, in köstlicher
Frische und unbegrenzter Mannigfaltigkeit, unter-
stützt durch eine meisterhafte Technik.
Wer das Wesen
der Gotik erkannt
hat, wird verstehen,
dass nur das natura-
listische lebendige
Ornament dem Stil,
der die Materie zu
vergeistigen ver-
mocht hat, genügen
konnte. Die Blüte-
zeit der gotischen Baukunst ist denn
auch die Zeit eines wunderbaren
Naturalismus im Ornament. Auf der
Höhe seiner Entwickelung zeigt sich
dasselbe in Strassburg bereits beim
Langhaus, dem Werke der Vor-
gänger Erwins. Demgegenüber lässt
das Ornament am Westbau bereits
leise Anzeichen der Manier erkennen,
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