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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Clauss, Joseph: Eine rätselhafte Skulpturengruppe an der Strassburger Münsterkanzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0066
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Hervorstechend in Geilers Leben ist seine
Vorliebe für die Passion des Herrn. Täglich
bereitete er sich auf die Messe durch die Betrachtung
des bitteren Leidens vor, die er in seiner Schlaf-
kammer vor einem Kreuzbild und einigen Passions-
darstellungen hielt1. Ebenso eifrig predigte er
darüber. Er hatte die Gewohnheit, sie am Char-
freitag — wie es von jeher und heute noch überall
Gebrauch ist — zum Predigtthema zu nehmen und
zwar i Stunde morgens um 6 Uhr und mittags um

Abb i. Geiler auf der Kanzel.
(Holzschnitt aus der deutschen Synodalpredigt, 1513.)

1 Uhr. Damit nicht genug, legte er auch wiederholt
im Laufe des Kirchenjahres die Passion in einer
fortlaufenden Serie von eindrucksvollen Predigten
aus. Leider wissen wir nicht immer, in welchen
Jahren er dieselben gehalten. Gewiss zum Teil schon
vor Anfertigung der Kanzel, wenn sie auch erst
später gedruckt wurden. Auf fünf verschiedene
Arten hat er so seinen Zuhörern das Leiden und
Sterben Christi darzustellen versucht. Erstens als
einfache Erzählung nach den vier Evangelien, wozu
er dem Monotesseron des Pariser Universitäts-
kanzlers Joh. Gerson folgte. Sie erschien zuerst
lateinisch viermal i5o6 — 15o8, dann in deutscher
Uebersetzung von Matthias Ringmann in 5 Auflagen
i5o6—i5i3, jedesmal mit i5 oder 25 Holzschnitten
der Passion von Urs Graf oder der Werkstatt

1 B. Rhenan. vit. Geil.: Passionem superbenedicti serva-
toris nostri Jesu Chr. sacrificaturus animo prius versabat;
habebat ad hoc pium meditationis exercitium adjutrices Chartas,
in quibus crucifixi Christi figura depicta erat, ln angulis affixas.

Grüningers h Derselbe deutsche Text, nur um ein
Kapitel vermehrt, findet sich auch in Geilers Postill
als II. Teil2. Während die gesonderte Ausgabe den
einfachen Titel: Textum Passionis Christi ex 4
evangelistis unum trägt, ist die Leidenserzählung
der Postille genauer bezeichnet als « der Passion,
wie ihn dann der hochgelehrt Dr. Johannes
Geiler von Kaysersberg zu Strassburg järlich
geprediget hatt». Sie erschien i522 zu Strassburg
bei Johann Schott3 und ist besonders wertvoll
durch die vielen ganzseitigen Holzschnitte von
Wächtelin, davon sich 19 auf die Passion beziehen.

— Eine zweite Reihe von Predigten Geilers gab
sein Famulus Jakob Otther bei Matthias Schürer
i5o8 und i5ii heraus unter dem Titel : Fragmenta
passionis (Dacheux, Nr. 38 f.). Es sind darin die
Passionspredigten mehrerer Jahre zusammengestellt,
allerdings nicht in der von Geiler vorgetragenen
Form, sondern vermehrt durch Zitate aus den Vätern
und anderen Schriften Geilers. Anders geartet ist
die «Passion des Herrn Jesu . . . geprediget
. . . in Stückes weiss eines süssen Lebkuchen
. . . als durch die gantze fasten allen tag
wol ein Predig daruss zunemen ist», deutsche
Uebersetzung von Joh. Adelphus und gedruckt bei
Joh. Grüninger i5i4 (Dacheux, Nr. 65). Sie enthält
35 Holzschnitte, teilweise von Wächtelin, und ist
das seltenste der Werke Geilers.

Damit ist das Passionsthema bei ihm noch nicht
erschöpft. In zwei weiteren Predigtsammlungen flicht
er das Leiden Christi ein, in De arbore humana
und in dem «Schiff des Heils». In der Serie De
arbore humana oder «der Mensch ein Baum»,
die er 14.95 und 14.96 vortrug, behandelt er in dem
Abschnitt de excellentiis arboris crucifixi das Kreuz
Christi symbolisch in seinen Beziehungen zum
Christen grösstenteils nach dem 5i. Sermo Bern-
hardins von Siena de Passione Christi. Es ist mehr
eine Stoffsammlung als ausgearbeitete Predigten.

— In den Fastenpredigten, die er i5oi und i5o2
bis in den September hielt und Schiff der
Pönitenz oder des Heils, lateinisch Navicula
Penitentiae als Gegenstück zum Narrenschiff betitelt,
betrachtet er als 23. Eigenschaft dieses Schiffes den
Mastbaum d. h. das Kreuz, an dem man durch die
23 Sprossen der verschiedenen Tugenden hinauf-
steigt, um an der Spitze in 8 Abschnitten das Leiden
des Herrn nach den Evangelien zu betrachten, eine
sehr belebte und bewegte Form der Darstellung.

Nicht von Geiler, wie man bisher allgemein,
selbst Dacheux (Biographie S. 571) annahm, ist die

1 Dacheux, Bibliographie Nr. 26—35.

2 Von fol. CXVIII ab.

3 Dacheux, Nr. 82.
 
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