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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Clauss, Joseph: Eine rätselhafte Skulpturengruppe an der Strassburger Münsterkanzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0069
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Vermögen und Heimat und wanderte nach Klein-
asien, wo er 17 Jahre lang als Bettler bei einer
Kirche lebte. Nach Rom zurückgekehrt, erhielt er
unerkannt den Platz unter der Treppe des väter-
lichen Palastes, wo er lange Jahre lebend vielfach
Spott und Misshandlungen seitens der Dienerschaft
erdulden musste. Ja diese leerte öfters das schmutzige
Spül- und Putzwasser über ihn aus. Nach seinem
Tode um 417 offenbarte ein in der Hand verborgener
Zettel Namen und Herkunft des Armen. Er wurde
als Heiliger verehrt und sein Leib ruht jetzt in der
ihm geweihten Kirche auf dem Aventin. Seine
Legende wurde seit dem 9. Jahrhundert im Morgen-
und Abendlande mit vielen Sagen ausgeschmückt
und erfreute sich ungemeiner Beliebtheit und Ver-
breitung. In Deutschland gibt es seit dem 12. Jahr-
hundert mehrere poetische Bearbeitungen des Stoffes1.
Der Heilige war hier durch Bischof Meinwerk von
Paderborn, der auf einer Romfahrt mit Kaiser Hein-
rich 1014 allerlei Wunder von ihm vernommen,
bekannt geworden. Geweiht sind ihm die Kirche zu
Herbolzheim (bad. Amt Emmendingen), die Spital-
kapelle in Oppeln a. Oder (Schlesien) seit 1400,
waren ihm eine Spitalkapelle zu Mainz, ein Altar
im Konstanzer Münster seit i383.

Dass seine Verehrung auch im Eisass nicht un-
bekannt war, zeigen die ihm geweihten Kapellen in
Strassburg und bei Kaysersberg, auf die ich noch
näher eingehen werde. Auch in St. Martin zu Colmar
besass er einen 1441 erwähnten Altar mit Pfründe.
Kirchenpatron ist er in Griesheim. In der deutschen
Kunst — nur diese dürfen wir zum Vergleich heran-
ziehen — besitzen wir einige Darstellungen gerade
aus dem i5. Jahrhundert. Sie zeigen, dass man es
liebte, die ja auch eindrucksvollste Episode aus
seinem Leben im Bilde vorzuführen. Aus dem An-
fang des i5. Jahrhunderts stammt ein Fresko in
dem Cyklus von Szenen in der Karmeliterkirche zu
Boppard am Rhein. Ein Relief mit der gewöhn-
lichen Vorführung unter der Treppe findet .sich zu
Altbreisach am Chorgestuhl von ca. 1490, viertes
Wangenstück links2. Eine seltene Holzstatue von
dem Meister B. Löscher i5i3 bewahrt Schloss
Erbach in Württemberg. Zwei andere Darstellungen
liefert die graphische Kunst: einen oberbairischen
Metallschnitt von 1443 in der ehemaligen Wei-

JF. Mossmann, St. Alex. Leben in 8 gereimten mittel-
hochdeutsch. Behandlungen (Bibi, der gesamten deutsch.
National-Literat. IX [Quedlinburg 1843] 208 S.). Vgl. im
allgem. Boiland., Bibi, hagiogr. lat. 1898. S. 48 f.; Pottast,
Biblioth. hist. med. aev. 2II 1153. Ausserdem Piper, die
geistl. Dichtung des MA. II 57—61. — Schipper J., Engl.
Alex. Legenden aus d. 14. u. l5. Jahrhund. Strassb. 1877;
Blau. Zur Alex.-Legende (Germania XII [1889] 170 ff.)

2 Von Kraus, Kunstdenkmäler Badens VI, Landkreis
Freiburg S. 64 nicht gedeutet.

gel’schen Sammlung1 und einen Holzschnitt in der
Vita Sanctorum von 1488. Beidemal liegt er unter
der Treppe, ein Diener giesst den Kübel über ihn
aus. So ist er auch dargestellt unter der Treppe
des Sakramentshäuschens zu Donauwörth. Die
Wahl des liegenden Heiligen für die Kanzeltreppe
enthält demnach nichts Auffälliges. Sie hat indess
noch eine nähere Beziehung zu Geiler, ist vermutlich
von ihm direkt beeinflusst oder verlangt worden.

Eine Stunde hinter Kaysersberg und noch auf
seinem Gemeindebann liegt auf einer Waldlichtung

Abb. 3. Kanzelpfeiler oben vorn.

oben auf dem Bergabhang eine einsame Kapelle
und daneben ein kleines Wohnhaus. Es ist die
Wallfahrtskapelle St. Alexis, ein landschaftlich
herrlicher Fleck, ein echtes Waldidyll, das Dichter
und Maler zu begeistern imstande ist. Bis vor der
Revolution war es eine Einsiedelei, wie ja die Um-
gegend das klassische Land der Einsiedeleien genannt
werden kann, so zahlreich waren sie einst2. Leider

1 Weigel T. O. u. Dr. A. Zestermann, die Anfänge
der Druckerkunst in Bild und Schrift an deren frühesten
Erzeugnissen in der Weigel’schen Sammlung. Leipzig 1866,
fol. I, Nr. 28, S. 59—61 mit kolor. Abbild.

2 Mit St. Alexis waren es deren 5 : St. Wolfgang beim
Kirchhof, noch erhalten; St. Marien im Rehbachtal links
hinter der Stadt, in der Revolution spurlos zerstört;
St. Johann bei Alspach, 1898 abgebrannt (s. Näheres mein
Histor.-topogr. Wörterbuch S. 529); St. Bernhard im
Rohrbachtal, jetzt Ruine.

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