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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Clauss, Joseph: Eine rätselhafte Skulpturengruppe an der Strassburger Münsterkanzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0070
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bietet das Kaysersberger Stadtarchiv keine Nach-
richten über Alter oder Entstehung der Kapelle.
Aus den Akten eines Waldprozesses ergibt sich,
dass sie 1577 schon seit langer Zeit bestand; den
Unterhalt hatte die Pfarrkirche. Sicher stammt sie

aus dem i5. Jahrhundert, ja wenn man eine Ver-
mutung äussern darf, fällt ihre Errichtung eben in
das Jahr 1485. Dieses Jahr ist freilich das des Auf-
baues der Kanzel, und die arabische Jahrzahl auf
dem Spruchband direkt über der Figur des
hl. Alexius könnte man demnach nur auf das Datum
des Kanzelbaues beziehen wollen. Da aber das Jahr
an der Treppenbrüstung schon zweimal in arabischen
und römischen Ziffern recht deutlich angegeben ist,
so muss man sich mit Recht fragen, weshalb es der
Meister noch einmal hier an einem so wenig sicht-
barem Ort angebracht hat. Ein einleuchtender Grund
dafür findet sich nicht; man ist folglich zu der
Annahme gezwungen, dass sie direkten Bezug hat

zu der Gruppe darunter. Freilich haben wir auch
keine bestimmten und direkten Nachrichten über das
Verhältnis Geilers zur Alexiskapelle. Aber die von
seinen zeitgenössischen Biographen Wimpfeling und
Beatus Rhenanus erzählten Einzelheiten aus seinem
Leben fliessen nur spärlich. Und
wenn wir von diesen erfahren,
dass er bei seinem jährlichen
Ferienbesuch in Kaysersberg
einsame Spaziergänge in Berg
und Wald machte, Einsiedeleien
und alte Kirchen aufsuchte, vor-
züglich die Einsiedelei St. Bern-
hard im Rohrbachtal auf der
anderen Seite von Kaysersberg,
so dürfen wir gewiss ohne allzu-
grosse Kühnheit schliessen, dass
er auch die Einsiedelei St. Alexis
besuchte. In der Rohrbachkapelle
predigte er öfters am Patrons-
fest des hl. Bernhardus (20. Au-
gust), darf man da nicht an-
nehmen, dass er mitunter auch
am 17. Juli, am Tage des hl.
Alexius, mit den Pilgerscharen
hinaufzog und ihnen auf der
Wiese vor der Kapelle eine
rechte Bergpredigt hielt, wie es
heute noch geschieht, wie ich
als Vikar von Kaysersberg es
mehr wie einmal tat? Und
wenn sich der Heilige in der
ergreifendsten Szene seines
Lebens an der zur selben Zeit
für ihn errichteten Münsterkanzel
vorfindet, so kann das nicht
blosser Zufall sein. Es besteht
ein näherer Zusammenhang
zwischen beiden und die Ver-
bindung hat Geiler hergestellt.
Aus seiner Zeit hat sich in der
Kapelle nichts mehr erhalten.
Das Altarbild stellt aber in einem wenn auch hand-
werksmässigen, doch nicht schlechten Relief vom
Ende des 16. Jahrhunderts die belebte Szene des
Todes und die Wiedererkennung des Heiligen im
väterlichen Hause dar (s. Abb. 4).

Noch eine weitere Beziehung zu Geiler legt die
Gestalt des hl. Alexius nahe. Als Patron der Pilger
weist er hin auf Geilers Vorliebe zum Einsiedler-
leben und auf seine Wallfahrten.

Schon vorhin haben wir seinen Hang zur Ein-
samkeit während des jährlichen Ferienaufenthaltes
in der Heimat berührt, sein Aufsuchen der dortigen
Einsiedeleien und einsamen Kirchen. Diese Liebe zu
einem stillen, beschaulichen Leben beseelte gegen

Abb. 4. Altarrelief der Kapelle bei Kaysersberg.
 
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