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haben. Aber auch für die beiden anderen Figuren
ist keine dieser Deutungen annehmbar. Wäre der
Meister dargestellt, so müsste dieser doch ein sein
Handwerk bezeichnendes Werkzeug bei sich haben,
Winkelmass oder Hammer. Davon ist keine Spur
zu sehen. Wohl aber hat er am rechten Arm eine
Paternosterschnur (Rosenkranz) und am Gürtel
hängend ein Messer, abgesehen davon dass er, wie
wir anfangs schon bemerkt, die Kleidung eines
Ordensmannes trägt. Eben weil die Gestalt einen
Ordensmann vorstellt und die weibliche Figur neben
Abb. 5. Stützpfeiler der Kanzel von der Seite.
ihm die einer Klosterfrau, kann man auch nicht an-
nehmen, es sei die zuhörende Gemeinde. Seine
Hauptzuhörer im Münster waren ja nicht Kloster-
leute, sondern Laien. Zudem wäre es eine seltsame
Laune des Bildhauers, die die zuhörende Gemeinde
sinnbildenden Gestalten beide in der Haltung an-
dächtigen Gebetes vorzuführen. Beten ist sicher
nicht die gebührende Beschäftigung während einer
Predigt.
Noch eine andere Deutung, die zwar bisher
nicht geäussert wurde, auf die man aber durch die
Ikonographie des hl. Alexius kommen könnte, muss
abgelehnt werden. Gewöhnlich werden auch die
Eltern des Heiligen bei seinem Ableben mitdar-
gestellt, wie z. B. auf dem Altarrelief der Kaysers-
berger Kapelle. Dass sie hier nicht gemeint sein
können, ergibt sich aus der Ordenstracht der
beiden, die den Eltern des Heiligen nicht zukam.
Es war nicht üblich in der Kunst, sie so abzubilden,
ist auch nirgendwo geschehen. Freilich wäre die
Deutung ganz einfach, wenn die breiten Spruch-
bänder über dem Haupt der beiden Figuren nicht
leer, sondern beschrieben wären. Das war wohl die
ursprüngliche Absicht. Warum sie nicht ausgeführt
worden, wissen wir nicht1. Das Rätsel löst sich
leicht, wenn wir bei beiden Gestalten festhalten,
dass es Ordensleute sein sollen, und sie in Verbin-
dung bringen mit dem hl. Alexius, neben dem sie
sich befinden und zu dem sie nach der Absicht des
Meisters auch nähere Beziehung haben sollen.
In der Tat darf man wohl zuerst an Mitglieder
der Genossenschaft der Alexianer denken, die in
der Mitte des 14. Jahrhunderts während der Pest
gestiftet, eben 1472 die päpstliche Bestätigung er-
halten hatten. Sie hiessen auch Celliten oder Loll-
brüder und hatten am Oberrhein eine Provinz mit
dem Hauptsitz in Worms. Sie hatten zur Aufgabe
die Pflege der Kranken, besonders der Pestkranken
und Aussätzigen, die christliche Beerdigung armer
Verstorbenen2. Indess ist nichts bekannt von der
Existenz eines Hauses dieser geistlichen Genossen-
schaft in Strassburg. Dagegen gab es eine ganze
Reihe von männlichen und weiblichen Beginen-
häusern 3, die sich dieselbe Aufgabe zum Ziele
setzten wie die Alexianer : Pflege der Kranken, Bei-
wohnung beim Begräbnis und Jahresgedächtnis der
Verstorbenen. Die beiden Gestalten tragen auch
genau die Ordenstracht der Beginen und Begharden,
die bei letzteren hauptsächlich durch den Bart und
den Kapuzenmantel charakterisiert wird. Mit Recht
sind sie also an der Kanzeltreppe dargestellt in der
Haltung von Betenden.
Allerdings standen die Beginen im i5. Jahr-
hundert im allgemeinen in keinem guten Ruf. Dass
sie den aber nicht alle verdienten, beweisen Aus-
sprüche Seb. Brants und das Totenbuch von
St. Johann. Die strengen Johanniter hätten sie sonst
nicht in so ausgedehntem Masse zu ihren Gottes-
diensten herangezogen. Zudem sind wir nur spärlich
über ihre innere Lebensweise und Tätigkeit unter-
1 Herr Dombaumeister Knauth meint, die Spruchbänder
seien früher wie die ganze Kanzel bemalt gewesen. Die
Malerei sei hauptsächlich während der Revolution, wo man
die Kanzel entfernt hatte, verschwunden. Das Verdienst sie
rechtzeitig und Stein für Stein 1793 abgetragen und sie 1800
wieder aufgerichtet zu haben, gebührt dem Dombaumeister
Louis Klotz.
ä Vgl. Heimbucher, die Orden der kath. Kirche, II,
479 f-
3 S. über sie C. Schmidt, die Strassburger Beginen-
häuser im Mittelalter (Stöbers Alsatia i858/6r, 145—248).
haben. Aber auch für die beiden anderen Figuren
ist keine dieser Deutungen annehmbar. Wäre der
Meister dargestellt, so müsste dieser doch ein sein
Handwerk bezeichnendes Werkzeug bei sich haben,
Winkelmass oder Hammer. Davon ist keine Spur
zu sehen. Wohl aber hat er am rechten Arm eine
Paternosterschnur (Rosenkranz) und am Gürtel
hängend ein Messer, abgesehen davon dass er, wie
wir anfangs schon bemerkt, die Kleidung eines
Ordensmannes trägt. Eben weil die Gestalt einen
Ordensmann vorstellt und die weibliche Figur neben
Abb. 5. Stützpfeiler der Kanzel von der Seite.
ihm die einer Klosterfrau, kann man auch nicht an-
nehmen, es sei die zuhörende Gemeinde. Seine
Hauptzuhörer im Münster waren ja nicht Kloster-
leute, sondern Laien. Zudem wäre es eine seltsame
Laune des Bildhauers, die die zuhörende Gemeinde
sinnbildenden Gestalten beide in der Haltung an-
dächtigen Gebetes vorzuführen. Beten ist sicher
nicht die gebührende Beschäftigung während einer
Predigt.
Noch eine andere Deutung, die zwar bisher
nicht geäussert wurde, auf die man aber durch die
Ikonographie des hl. Alexius kommen könnte, muss
abgelehnt werden. Gewöhnlich werden auch die
Eltern des Heiligen bei seinem Ableben mitdar-
gestellt, wie z. B. auf dem Altarrelief der Kaysers-
berger Kapelle. Dass sie hier nicht gemeint sein
können, ergibt sich aus der Ordenstracht der
beiden, die den Eltern des Heiligen nicht zukam.
Es war nicht üblich in der Kunst, sie so abzubilden,
ist auch nirgendwo geschehen. Freilich wäre die
Deutung ganz einfach, wenn die breiten Spruch-
bänder über dem Haupt der beiden Figuren nicht
leer, sondern beschrieben wären. Das war wohl die
ursprüngliche Absicht. Warum sie nicht ausgeführt
worden, wissen wir nicht1. Das Rätsel löst sich
leicht, wenn wir bei beiden Gestalten festhalten,
dass es Ordensleute sein sollen, und sie in Verbin-
dung bringen mit dem hl. Alexius, neben dem sie
sich befinden und zu dem sie nach der Absicht des
Meisters auch nähere Beziehung haben sollen.
In der Tat darf man wohl zuerst an Mitglieder
der Genossenschaft der Alexianer denken, die in
der Mitte des 14. Jahrhunderts während der Pest
gestiftet, eben 1472 die päpstliche Bestätigung er-
halten hatten. Sie hiessen auch Celliten oder Loll-
brüder und hatten am Oberrhein eine Provinz mit
dem Hauptsitz in Worms. Sie hatten zur Aufgabe
die Pflege der Kranken, besonders der Pestkranken
und Aussätzigen, die christliche Beerdigung armer
Verstorbenen2. Indess ist nichts bekannt von der
Existenz eines Hauses dieser geistlichen Genossen-
schaft in Strassburg. Dagegen gab es eine ganze
Reihe von männlichen und weiblichen Beginen-
häusern 3, die sich dieselbe Aufgabe zum Ziele
setzten wie die Alexianer : Pflege der Kranken, Bei-
wohnung beim Begräbnis und Jahresgedächtnis der
Verstorbenen. Die beiden Gestalten tragen auch
genau die Ordenstracht der Beginen und Begharden,
die bei letzteren hauptsächlich durch den Bart und
den Kapuzenmantel charakterisiert wird. Mit Recht
sind sie also an der Kanzeltreppe dargestellt in der
Haltung von Betenden.
Allerdings standen die Beginen im i5. Jahr-
hundert im allgemeinen in keinem guten Ruf. Dass
sie den aber nicht alle verdienten, beweisen Aus-
sprüche Seb. Brants und das Totenbuch von
St. Johann. Die strengen Johanniter hätten sie sonst
nicht in so ausgedehntem Masse zu ihren Gottes-
diensten herangezogen. Zudem sind wir nur spärlich
über ihre innere Lebensweise und Tätigkeit unter-
1 Herr Dombaumeister Knauth meint, die Spruchbänder
seien früher wie die ganze Kanzel bemalt gewesen. Die
Malerei sei hauptsächlich während der Revolution, wo man
die Kanzel entfernt hatte, verschwunden. Das Verdienst sie
rechtzeitig und Stein für Stein 1793 abgetragen und sie 1800
wieder aufgerichtet zu haben, gebührt dem Dombaumeister
Louis Klotz.
ä Vgl. Heimbucher, die Orden der kath. Kirche, II,
479 f-
3 S. über sie C. Schmidt, die Strassburger Beginen-
häuser im Mittelalter (Stöbers Alsatia i858/6r, 145—248).