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Strube, Christine
Baudekoration im nordsyrischen Kalksteinmassiv (Band 2): Das 6. und frühe 7. Jahrhundert — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.71526#0087
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diese hinausführende Weiterbildung, die es erlauben
würde, die drei Kapitelle zeitlich voneinander zu trennen —
ich habe diesen Befund im Vorangehenden schon mehr-
mals angesprochen290. Dasselbe Bild bietet das Girlan-
denkapitell, dessen Dreiecksmuster von Typ Id (Abb. 1)
nicht über die Kapitelle El Bäräs hinausführen und das
auch in seiner Gesmtform keine weiterführende Ver-
änderung erkennen läßt. Auffallend ist jedoch, daß die
Kapitelle durch Einzelelemente wie den Fußwulst und
das Korbmotiv einander angeglichen wurden. Bemer-
kenswert ist, daß sich die Formen der Girlande auf dem
Girlandenkapitell bis ins Detail bei dem korinthischen
„Normalkapitell“ in Qasr ibn Wardän wiederholten
(Taf. 35e; 51b), und die Blattformen bis ins Detail denen
des windbewegten Kapitells in der E 4 entsprechen
(Taf. 35f).
Mit den Kapitellen der Kirche von Madbaca, die
denen in Qasr ibn Wardän so nahe sind, daß sie in die-
selbe Zeit und vielleicht sogar einige Jahre nach 564
n. Chr. datiert werden können, blieb das einzige Pfeiler-
kapitell dieser Kapitellgruppen erhalten (Taf. 35d). Es
führt nicht durch neue Blattmotive über die Kapitelle El
Bäräs hinaus. Sehen wir aber die Kapitelle von Madbaca
im Zusammenhang mit allen Kapitellen Qasr ibn War-
däns, so zeichnet sich zudem Idar ab, daß nicht nur auf
einzelnen Kapitellen wie in El Bärä (Taf. 31a. e; 34e),
sondern auf allen in der Wiedergabe von flächigen Me-
daillon- und Blattformen das Tiefendunkel durch Aus-
dünnung der Blattstege und Eingrenzung der hellen
Blattflächen verstärkt wurde. Das Erscheinungsbild die-
ser Kapitelle kommt - ohne Hinterarbeitung der Formen
- den ä jour-Arbeiten justinianischer Zeit in der Bau-
dekoration Konstantinopels sehr nahe.
Ich komme zu den Kapitellen mit „klassischen“ Akan-
thusformen, deren Ausbildung besonders aufschlußreich
für die Gesamtsituation dieser Kapitellform im 6. Jahr-
hundert ist. Daß sie in Qasr ibn Wardän sehr wahr-
scheinlich auf den Emporensäulen im Westteil der Kir-
che saßen, während in den doppelgeschossigen Seiten-
trakten das mehrzonige Kapitell dominierte und nur mit
wenigen anderen Kapitellvarianten in einer Säulenreihe
kombiniert wurde, habe ich in anderem Zusammenhang
ausgeführt291. Wichtig ist der Vergleich der beiden Kapi-
telle mit den entsprechenden Kapitellen in El Bärä
(Taf. 51a. b):
Bei beiden Kapitellen führt der Aufbau der drei Kapi-
tellzonen direkt zu den entsprechenden Kapitellen El
Bäräs (Taf. 19a. b. e; 27a) und über sie hinaus nach
Qalcat Simcän zurück. Auch die Einzelformen der Gau-
les, Hüllblätter und Kranzblätter lassen keine tiefgreifen-
den Veränderungen erkennen. Grundlegend anders ist
allein die Wiedergabe der Blattformen: Sie wurden nach-
lässig und so flach292 ausgearbeitet, daß die Negativrillen
stark hervortreten. Im unteren Blattkranz des Normalka-
pitells wurde bei einigen Blättern auf die nachträgliche

Kerbung verzichtet (Taf. 51b). Der Kontrast zu den reich
bewegten, höchst lebendig und mit größter Präzision
ausgearbeiteten Blattformen der Kirchen El Bäräs ist
nicht zu übersehen. Bei einem kleinformatigen Kapitell
aus dem Kastron von Androna (558/9 n. Chr.), das in
engem Werkstattszusammenhnag mit den Kapitellen Q.
ibn Wardans steht293, wiederholt sich die Indifferenz ge-
genüber den traditionellen Formen des korinthischen
Kapitells.
Ohne Kenntnis des Gesamtbildes der Kapitellplastik
in den einzelnen Kirchen und ohne den Werkstatts-
zusammenhang, der sie verbindet, könnten wir den
zeitlichen Abstand zwischen den korinthischen Normal-
kapitellen in El Bärä und Qasr ibn Wardän nicht rekon-
struieren. Denn die Unterschiede zwischen den Kapitel-
len könnten auf die unterschiedliche Schulung von
Steinmetzen einer Werkgruppe oder den Abstand zwi-
schen verschiedenen Werkstätten zurückgeführt werden.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Veränderun-
gen, die die Kirchen El Bäräs von der Kirche in Qasr ibn
Wardän trennen, betreffen das Gesamtbild der Kapitell-
typen und die Position der kontrastreichen Flächen-
muster. Dem weitgehend homogenen Kapitellbild in
Qasr ibn Wardän steht das bewegte und sowohl in den
Gesamt- wie in den Einzelformen variantenreiche Ge-
samtbild der Kirchen El Bäräs gegenüber. In dem langen
Prozeß der Auflösung und Umbildung antiker Blatt-
formen und der Ausbildung kontrastreicher Flächenmu-
ster nimmt die mehrzonige, über die Neuschöpfungen
der Transeptkirche hinausführende Kapitellform eine
zentrale Stellung ein und sie ist in einem Zusammenhang
mit der Aufnahme und Umbildung hauptstädtischer
Kapitellformen in syrischen Werkstätten zu sehen (Taf.
1 Id. e). Erst auf diesen neuen Kapitelltypen wurden die
traditionellen Gliederungsprinzipien des korinthischen
Kapitells weitgehend aufgehoben und so die Voraussset-
zungen zur Übertragung reiner Flächenornamente auf
das rundplastische Kapitell geschaffen.
Alle Blattformen, die bei der Mehrzahl der Kapitelle in
der Transeptkirche noch bestimmende Hauptform eines
einzigen Kapitells waren, wurden fortan auf die neue Ka-
pitellform übertragen (Taf. 35b. c; 51c. e). Variation und
Vielfalt werden zunehmend von diesen neuen Kapitell-
typen geprägt, und die älteren Kapitellformen werden
zwar noch beibehalten, aber nicht mehr weitergebildet

290 Siehe S. 40 f.
291 Strube 1986, 61 ff. und Taf. 14b.
292 Die äußerst flache Kerbung ist natürlich nicht gleichzusetzen mit
der feinen Kerbung, die wir bei den Kapitellen in Aleppo und in einigen
Bauten des Bergmassivs antreffen.
293 Es wurde 1999 ausgegraben, gehörte wohl zu einem großen Ther-
menfenster des Westtraktes, und ich werde es in der Grabungspubli-
kation vorstellen.

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