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Epoche des Phidias.

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ob des Wunders, wie an den rotfigurigen Gefässen^ der Feuergott, noch die Axt in den
gehobenen Händen, von Staunen gefesselt. Von alledem sind freilich nur ein paar Bruch-
stücke übrig geblieben, wir suchen uns das Verlorene auch diesmal aus antiken Reminis-
zenzen wiederherzustellen. Erhalten sind nur die Flügel der Komposition, der weitere
Kreis der olympischen Versammlung, aufgeregt eilende, sitzende und gelagerte Gestalten,
in welchen die Wirkung des plötzlichen Vorganges mannigfach abgestuft sich geltend
macht, bis sie in den entferntesten, unberührt ins Weite schauenden verklingt. Das
ganze Gemälde wird (ähnlich wie die inhaltsverwandten Darstellungen an den Basen
des olympischen Zeus und der Parthcnos, Aphroditegeburt und Schmückung der Pan-
dora) zu äusserst abgeschlossen durch die Gottheiten der grossen Himmelslichter, auf
der Sonnenseite Helios, von dem feurigen Viergespann gezogen aus den Wellen tauchend,
auf der Nachtseite Selene hinabfahrend.
Der Westgicbel schildert die Epiphanie Poseidons nnd Athcnas in Attika.
Beide wurden auf der Burg, im Erechtheion, nebeneinander verehrt; nach der Legende
haben beide wetteifernd von dem Lande Besitz ergriffen, Poseidon, indem er den Drei-
zack in den Burgfels sticss, dass ein Salzwasserquell hervorsprang, Athena aber liess
den Ölbaum aufspriessen, von welchem alte die fruchttragenden Ölbäume im Kephissos-
tal abstammen. Beide Wahrzeichen wurden im Erechtheion gezeigt, das Dreizackmal
mit der „Salzfhit" im Felsboden der Ercchthcuscclla, der vom Alter verkrümmte Öl-
baum, welcher beim persischen Burgbrand verkohlte, dann aber neu ausschlug, im
Garten vor der Westfront. Phidias liess in der Giebelmittc die zwei mächtigen Götter
aufeinandertreffen; der Höhepunkt ist zur Darstellung gewählt, Poseidon hat eben den
Dreizack gezückt und der Quell schoss hervor, verkörpert in einem Delphin; da ist
auch Athena schon zur Stelle, ihre gehobene Linke fasst bereits den jäh emporgegangenen
Schaft des neuen Baumes; uud Poseidon weicht. Tatsächlich war Athena die Herrin
in Burg und Stadt, in Land und Reich. Hinter den Göttern halten ihre Gespanne,
kaum von den Lenkern gebändigt; mit deren Rückenprotil schneidet (He dramatische
Mittelgruppe ab. In den Flügeln sitzen, hocken und lagern wieder Zuschauer, mehr
oder minder von dem Vorgang in Anspruch genommen.
Man muss die Parthcnongiebel mit den älteren von Agina und Olympia ver-
gleichen, um die Grösse des Fortschrittes zu ermessen. Dort eine starre äusserliche
Symmetrie, am Parthenon zwar auch architektonischer Aufbau und Gleichgewicht der
Massen, aber im einzelnen Freiheit, ermöglicht durch feinstes Abwägen aller Teile gegen-
einander. In Agina ein schematisches Kampfbild, im Ostgiebel von Olympia zwei als
Gegner gedachte, doch an ihnen selbst nicht als solche bezeiclincte Männer mit ihren
zum Wettlauf bestimmten Viergespannen, alles in teils zeremoniöser, teils idyllischer Ruhe;
im Westgiebel daselbst übertriebene Kraftposituren. Bald zu wenig, bald zu viel. Am
Parthenon alles Leben, dramatisches Handeln, und doch schön beschlossene Form.
Der Stil ist gross, nicht bloss dass die Figuren gewaltig die Lebensgrösse über-
steigen, sondern ihre Verhältnisse sind gross, in AWlendung dessen, was Polygnot
begonnen. Dabei sind die Körper so lebensvoll, von schwellendem Fleisch und halt-
gebenden Knochen dahinter, dass man eine vollkommenere Naturwahrheit und Lebens-
wärme nicht denken zu können glaubt. Eine künstlerische Wirklichkeit, welcher sich
der Beschauer bedingungslos ergibt.
Vollendet plastisch ist die Gewandung gebildet, der lang gesuchte Ausgleich
zwischen der das Kleid wie eine andere Haut dem Leib knapp anschliessenden ägyp-
 
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