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ZWEITER ABSCHNITT
zitterten in der lauen Brise, die durch die Stämme der Eichen
hauchte. Die Luft und das Meer waren wohltuend. Welcher
Gegensatz, wenn man an die Küsten des Ozeanes denkt,
an die windumheulten, regengepeitschten Felsgestade unserer
Normandie und Gascogne, wo die verkrüppelten Bäume
sich in den Schluchten verstecken, und Gras und Ginster
sich jämmerlich an die Hänge klammern. Hier nährt die
Nachbarschaft der Fluten die Pflanzen, man fühlt die
Frische und Weichheit des Hauches, der sie zu liebkosen
und zu entfalten kommt. Man träumt, man hört den
leisen Lärm der wispernden Blätter und sieht ihre Schatten
auf dem Sande flimmern. Der Nebel verdampft unter der
Sonne, zwischen dem Laube erblickt man den Vesuv und
seine Nachbarn, die ganze Kette der sich entrollenden
Berge. Sie sind blassveilchenfarben und in dem Masse, in
dem der Tag sich senkt, wird dieser Veilchenton zarter.
Zuletzt haben sie die zarteste Malvenfarbe, ein Blumen-
kelch ist nicht so lieblich. Der Himmel klärt sich und
das beruhigte Meer ist nichts als Azur.
Es ist unmöglich, diesen Anblick wiederzugeben. Lord
Byron hat recht: man kann die Schönheiten der Kunst,
und die der Natur nicht auf eine Stufe stellen. Ein Ge-
mälde bleibt stets unter und eine Landschaft stets über der
Vorstellung, die man sich davon machen kann. Das ist
schön, etwas anderes weiss ich nicht zu sagen, das ist
gross, das ist mild, und das bereitet jedem Menschen
Freude, Herz und Sinnen; es gibt nichts Sinnreizenderes
und nichts Edleres. Wie sollte man sich die Beschwerde
bereiten, zu arbeiten und zu schaffen, wenn man das vor den
Augen hat? Es lohnt nicht der Mühe, ein wohlgeordnetes
Haus zu haben, emsig jene grossen Maschinen zu erbauen,
welche man einen Staat oder eine Kirche nennt, und nach
Genüssen zu trachten, die aus der Ehrsucht und dem Wohl-
leben kommen: man braucht nur zu schauen und zu leben,
man besitzt die ganze Blume des Lebens in einem Blick.
ZWEITER ABSCHNITT
zitterten in der lauen Brise, die durch die Stämme der Eichen
hauchte. Die Luft und das Meer waren wohltuend. Welcher
Gegensatz, wenn man an die Küsten des Ozeanes denkt,
an die windumheulten, regengepeitschten Felsgestade unserer
Normandie und Gascogne, wo die verkrüppelten Bäume
sich in den Schluchten verstecken, und Gras und Ginster
sich jämmerlich an die Hänge klammern. Hier nährt die
Nachbarschaft der Fluten die Pflanzen, man fühlt die
Frische und Weichheit des Hauches, der sie zu liebkosen
und zu entfalten kommt. Man träumt, man hört den
leisen Lärm der wispernden Blätter und sieht ihre Schatten
auf dem Sande flimmern. Der Nebel verdampft unter der
Sonne, zwischen dem Laube erblickt man den Vesuv und
seine Nachbarn, die ganze Kette der sich entrollenden
Berge. Sie sind blassveilchenfarben und in dem Masse, in
dem der Tag sich senkt, wird dieser Veilchenton zarter.
Zuletzt haben sie die zarteste Malvenfarbe, ein Blumen-
kelch ist nicht so lieblich. Der Himmel klärt sich und
das beruhigte Meer ist nichts als Azur.
Es ist unmöglich, diesen Anblick wiederzugeben. Lord
Byron hat recht: man kann die Schönheiten der Kunst,
und die der Natur nicht auf eine Stufe stellen. Ein Ge-
mälde bleibt stets unter und eine Landschaft stets über der
Vorstellung, die man sich davon machen kann. Das ist
schön, etwas anderes weiss ich nicht zu sagen, das ist
gross, das ist mild, und das bereitet jedem Menschen
Freude, Herz und Sinnen; es gibt nichts Sinnreizenderes
und nichts Edleres. Wie sollte man sich die Beschwerde
bereiten, zu arbeiten und zu schaffen, wenn man das vor den
Augen hat? Es lohnt nicht der Mühe, ein wohlgeordnetes
Haus zu haben, emsig jene grossen Maschinen zu erbauen,
welche man einen Staat oder eine Kirche nennt, und nach
Genüssen zu trachten, die aus der Ehrsucht und dem Wohl-
leben kommen: man braucht nur zu schauen und zu leben,
man besitzt die ganze Blume des Lebens in einem Blick.