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8. Thomasins Weltanschauung.

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freien Künste und der Meister in jeder von ihnen (8999ff.), der Anti-
clandian desselben Verfassers^ die Liste der durch Tugend ausgezeich-
neten Patriarchen (6051 ff.), sowie die Schilderung des Kampfes zwi-
schen Tugenden und Lastern (7385ff.). Jedesmal entnimmt Thomasin
dem Lehrbuch nur Einzelheiten, gewissermaßen Bruchstücke, hier ein
lmk, dort einen stein für sein eigenes Gebäude. Nirgends aber kann
man feststellen, daß er sich in seiner Haltung oder Weltanschauung durch
diese Vorlagen habe beeinflussen oder formen lassen.
Im Gegenteil, Thomasin bildet das Vorgefundene gar noch in
seinem eigenen, in kirchlichem Sinne um. Bezeichnend dafür ist etwa
seine Wiedergabe des von Manus entlehnten Tugendkampfes. An der
Spitze des Lasterheeres reitet im Welschen Gast weder äiseorckiu noch
stultitiu, sondern ülmrmuot. Das ist suxorkia, die Urheberin aller
Sünde, die bereits den Sturz Luzifers und Adams Vertreibung aus
dem Paradies verschuldet hat. Thomasin stellt hier die uralte, echt kirch-
liche Rangordnung der Laster wieder her, wonach superbiu als vitiarum
ragmu^ erscheint. Auch Prudentius hatte sie irr seiner ksvoüomuadiu
als Heerführerin gezeichnet, Manus war ihm darin nicht gefolgt^«.
Möglicherweise hat Thomasin neben dem Anticlaudian noch andere .Dar-
stellungen des Tugendkampfes gekannt. Der oanklivtus vitiarum at
virtutum ist ja mehrfach dichterisch behandelt worden. Wie dem auch
sei, es bleibt denuoch bezeichnend, daß er hier und in dieser Weise ändert.
Dem Prediger Thomasin kann nur die kirchlich-übliche Rangordnung
genügen und passen. Er biegt um, was seinen, Zwecke der moralischen
Belehrung nicht dienen will. Er stellt wieder her, was philosophische
Gesinnung geändert hat. Ihm sind die Lehrbücher der Schulschrift-
steller nicht fertige Gebäude, an denen man nicht rütteln darr, sondern
bequeme Steinbrüche, aus denen er Bausteine für sein eigenes Werk
bricht, wie er es in seiner Vorrede angekündigt hat, indem er sich auf
einen alten Brauch und eine weit verbreitete Ansicht berufen kann:
Dazu vgl.auszerSchön ba ch, Anfänge (Anm.177) 42ff. die oben(Anm.777)
genannte Abhandlung von Leist und deren Fortsetzungen in den Programmen von
1879; 1881 und 1882, die häufig auf den Welschen Gast verweist.
Gregor, Noruliu in lob 31,44, Migne 76, 620 V; dazu Ottmar Dittrich,
Die Systeme der Moral. Geschichte der Ethik II. Leipzig 1925, 236; ferner Isidor,
8ent. 1137, 9; 38, Migne 83, 639f.; Jesus Sirach 10,14f.; Hiob 4,14; Augustin,
3« eiv. Del XIV, 3; dazu Ernst Bernheim (Anm. 548) 16 u. ebd. Anm. 3; 4.
iss Niucleutius, Ls^ebomsvbiu 178, Xurolii Lruäsntii Olswontis Ourwinu ecl.
Joh. Bergman (Oorp. svript. sevles. lut. 61). Men u. Leipzig 1926. Schönbach,
ZDA. 38 (1894) 136f.; Manitius (Anm. 332) III797ff.; ferner Leist (Anm. 777)
1882, 70ff.

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