dem erneuten Sündenfall der Töchter Lots einerseits und der Sintflut andererseits zu sehen.
Wir müssen aber annehmen, daß man immer mit einem geöffneten Zustand rechnete, so daß
diese Gerichtsbilder dann zur Rückansicht, die voll unter dem Gerichtsgedanken steht, end-
gültig gehören; War der Altar doch einmal voll geschlossen, dann bildeten diese Bilder der
gefallenen Schöpfung unter Gottes Gericht den dunklen Hintergrund zu dem Neuen Bunde,
wie ihn das Abendmahlsbild zeigt.
Erster Öffnungszustand
Gericht Gottes, Rettung und wieder Fall der Menschen, davon sprechen die ersten zwei
Tafeln — wie ähnlich auch bei Michelangelos Sixtinischer Decke.
Nun öffnen wir den Schrein zum erstenmal: 4Tafeln (42-45) nebeneinander bilden doch
zusammen nur eine einzige Bildkomposition, wie wir sie seit 1529 bei Cranach auf Gemälden
und Holzschnitten mehrfach finden: Der Mensch zwischen Gesetz und Evangelium, Gericht und
Gnade, Sündenfall und Erlösung. Auf die Entstehung dieses Bildgedankens soll später17 aus-
führlicher eingegangen werden. Die Schneeberger Bilder sind die ersten monumentalen Ge-
staltungen dieses Versuches der Reformation, im Bilde anschaulich zu machen, wie sich der
Mensch vorfindet und welchen Weg er gehen solle. Es geht um die Entscheidung des Chri-
stenmenschen, der davon weiß, daß er seinen selbstherrlichen eigenen Weg gegangen ist, als
er auf die Zweifelsfrage »Sollte Gott wirklich gesagt haben?« nachgab (Sündenfallthpma), der
aber genauso im Tiefsten den Geboten Gottes recht gibt (Moses mit den Gesetzestafeln).
Und wenn er sie nun zu erfüllen sucht, dann wird ihm erst recht klar, daß er immer wieder
gerade das tut, was er nicht will, und das nicht tut, was er möchte — das Gesetz enthüllt
drohend die Natur des Menschen und im Hintergrund erscheint das Gericht (Der richtende
Herr in den Wolken des Himmels). Den Mächten des Bösen kann der Mensch nicht ent-
rinnen, trotz Flucht — denn ausweglos ist die Situation zwischen diesen höllischen Mächten
innen und außen —, trotz des Wissens um die Gebote Gottes. Auch Frommsein wollen bringt
zunächst nur tiefere Erkemitnis dieses verlorenen Postens, dieses Zirkels, den wir nicht durch-
brechen können. Der Lebensbaum ist verdorrt auf dieser Wegseite.
Noch einmal begegnet uns der nackte Mensch auf der anderen, der grünenden Seite des Le-
bensbaumes, aber nicht mehr gehetzt, getrieben, sondern ruhig geführt von »dem größten der
vom Weibe Geborenen«, von Johannes dem Täufer, dem »Anzeiger Christi«, wie man ihn
damals oft nannte. Nicht Gericht, nicht Gesetz, nicht satanische Mächte und den Tod zeigt
diese andere Seite, sondern Gottes Verheißung und Zusage. Gott steht zu seiner, wenn auch
gefallenen Schöpfung; wir müssen nur eine totale Kehrtwendung machen und auf ihn sehen:
Er ist unser Herr, und er hat in Christus die uns bedrängenden Mächte und Gewalten besiegt.
Sie sind nur vorläufige Herren, in Wirklichkeit »Kettenhunde Gottes« (nach einem Wort
Luthers). In der Kreuzigung Christi haben sie scheinbar gesiegt, aber Kreuz und Auferstehung
sind Kampfzeichen und Waffen, die Tod und Teufelsmächte im letzten entmächtigt haben.
Erhöhte Schlange als verborgenes Rettungszeichen im Alten Bund, Verkündigung an Maria
und die Hirten, Kreuzigung, Höllenfahrt, Auferstehung und Himmelfahrt Christi, das sind
35
Wir müssen aber annehmen, daß man immer mit einem geöffneten Zustand rechnete, so daß
diese Gerichtsbilder dann zur Rückansicht, die voll unter dem Gerichtsgedanken steht, end-
gültig gehören; War der Altar doch einmal voll geschlossen, dann bildeten diese Bilder der
gefallenen Schöpfung unter Gottes Gericht den dunklen Hintergrund zu dem Neuen Bunde,
wie ihn das Abendmahlsbild zeigt.
Erster Öffnungszustand
Gericht Gottes, Rettung und wieder Fall der Menschen, davon sprechen die ersten zwei
Tafeln — wie ähnlich auch bei Michelangelos Sixtinischer Decke.
Nun öffnen wir den Schrein zum erstenmal: 4Tafeln (42-45) nebeneinander bilden doch
zusammen nur eine einzige Bildkomposition, wie wir sie seit 1529 bei Cranach auf Gemälden
und Holzschnitten mehrfach finden: Der Mensch zwischen Gesetz und Evangelium, Gericht und
Gnade, Sündenfall und Erlösung. Auf die Entstehung dieses Bildgedankens soll später17 aus-
führlicher eingegangen werden. Die Schneeberger Bilder sind die ersten monumentalen Ge-
staltungen dieses Versuches der Reformation, im Bilde anschaulich zu machen, wie sich der
Mensch vorfindet und welchen Weg er gehen solle. Es geht um die Entscheidung des Chri-
stenmenschen, der davon weiß, daß er seinen selbstherrlichen eigenen Weg gegangen ist, als
er auf die Zweifelsfrage »Sollte Gott wirklich gesagt haben?« nachgab (Sündenfallthpma), der
aber genauso im Tiefsten den Geboten Gottes recht gibt (Moses mit den Gesetzestafeln).
Und wenn er sie nun zu erfüllen sucht, dann wird ihm erst recht klar, daß er immer wieder
gerade das tut, was er nicht will, und das nicht tut, was er möchte — das Gesetz enthüllt
drohend die Natur des Menschen und im Hintergrund erscheint das Gericht (Der richtende
Herr in den Wolken des Himmels). Den Mächten des Bösen kann der Mensch nicht ent-
rinnen, trotz Flucht — denn ausweglos ist die Situation zwischen diesen höllischen Mächten
innen und außen —, trotz des Wissens um die Gebote Gottes. Auch Frommsein wollen bringt
zunächst nur tiefere Erkemitnis dieses verlorenen Postens, dieses Zirkels, den wir nicht durch-
brechen können. Der Lebensbaum ist verdorrt auf dieser Wegseite.
Noch einmal begegnet uns der nackte Mensch auf der anderen, der grünenden Seite des Le-
bensbaumes, aber nicht mehr gehetzt, getrieben, sondern ruhig geführt von »dem größten der
vom Weibe Geborenen«, von Johannes dem Täufer, dem »Anzeiger Christi«, wie man ihn
damals oft nannte. Nicht Gericht, nicht Gesetz, nicht satanische Mächte und den Tod zeigt
diese andere Seite, sondern Gottes Verheißung und Zusage. Gott steht zu seiner, wenn auch
gefallenen Schöpfung; wir müssen nur eine totale Kehrtwendung machen und auf ihn sehen:
Er ist unser Herr, und er hat in Christus die uns bedrängenden Mächte und Gewalten besiegt.
Sie sind nur vorläufige Herren, in Wirklichkeit »Kettenhunde Gottes« (nach einem Wort
Luthers). In der Kreuzigung Christi haben sie scheinbar gesiegt, aber Kreuz und Auferstehung
sind Kampfzeichen und Waffen, die Tod und Teufelsmächte im letzten entmächtigt haben.
Erhöhte Schlange als verborgenes Rettungszeichen im Alten Bund, Verkündigung an Maria
und die Hirten, Kreuzigung, Höllenfahrt, Auferstehung und Himmelfahrt Christi, das sind
35