Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Düsseldorfer Zeitung — 1886

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.17438#0011
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dienstag

22«.

Vierteljährlicher Preis
in Düfseldorj
4 Mark.

iei allen kaiserl. deutschen
Vostämtern 4 M. öO M.

1«. August

1886.

Anreigen die Veti re .le
oder deren Rakm
für hiesige 15 M-
für auswärtige 80 M.
Reclame» 50 M.

Druck und Berlag

oer Stahl'schen Buchdruckerei in Düfseldorf.

Haupt-Expedition: ^rakenstraße l9.

.Churfürstenstr. 27 (Klosterstr.-Ecke), Fürsteuwall- uud

FrieSrichstr. - Ecke 62. Grakeubergerstr. S, Kaiserstr. 3, »
Klosterstr. 18 a, Kölnerstr. 217 und Marttustr 4 (Bilk).

Berantwortlicher Redakteur
MaxDuntzin Düffeldors.

Erstes Blatt.

Deutschland.

G Berlin, 9. Aug. jZur auswärtigen
Lage.j Seit langen Jahren ist die sogenannte todte
JahreSzeit nicht so belebt gewesen wie in diesem Sommer.
Man hat die Empfindung, daß in den Regimen der
hohen Politik etwas Außergewöhnliches vorgeht. Es
ist nicht unsere Liebhaberei, uns in willkürlichen Ver-
muthungen über die auswärtigen Dinge zu ergehen;
das Geschäft der Diplomatie ist auch heute noch sehr
undurchsichtig, und in Deutschland haben wir uns auf
Grund längjähriger Erfahrung mit vollem Recht ge-
wöhnt, dem Fürsten Bismarck unbedingtes Vertrauen
zu schenken. Aber die Anzeichen einer bedenklichen
Krise, der unser Verhältniß zu Rußland im Augen-
blick unterliegt, können doch nicht umhin, auch die
Laien in der auswärtigen Politik auf's Lebhafteste zu
beschäftigen. Schon lange her ist es freilich, daß wir
uns des Glaubens an die unzerstörbare Festigkeit der
russischen Freundschaft entwöhnt haben; die Feindselig-
keit des Panslavismus gegen Deutschland datirt nicht
von gestern. Jndeß ist sie selten so laut hervorge-
treten wie in der letzten Zeit, und vielleicht ist sie noch
niemals so nahe daran gewesen, auf die amtlichen Be-
ziehungen zu Deutschland Einfluß zu gewinuen. Der
Grund der Feindseligkeit ist sehr einfach: das Deutsch-
thum ist für die weitstrebenden Pläne des Panslavis«
mus ein Hinderniß, deshalb muß er gehaßt werden.
Freilich kann man diese Wahrheit nicht offen heraus-
sagen, vielmehr klagt man Deutschland der Undank-
barkeit gegen Rußland an. Undank wofür? Weil
Rußland sich 1870 nicht in einen Streit eingemischt
hat, der es gar nichts anging? Oder etwa dafür,
weil es gegen die Zusammensassung Deutschlands zu
einem einheitlichen Staatswesen keinen Widerspruch
erhoben hat? Wir sind uns in Deutschland sehr wohl
bewußt gewesen, wieviel Rußland uns 1870 hätte
schaden können; und daß darin, daß dies unterblieb,
zum mindesten ein Beweis werthvoller Freundschaft
Alexanders II. gegen seinen greisen Oheim lag, ist bei
uns allezeit unumwunden anerkannt worden- Aber
wenn dafür, nachdem Rußland sich während des Dar-
niederliegens Frankreichs durch die Durchlöcherung des
Pariser VertrageZ reichlich bezahlt gemacht hatte, über-
haupt noch ein Gegendienst verlangt werden sollte, so
konnte es nur der eines gleich neutralen Verhaltens
in einer uns nicht unmittelbar berührenden Angelegen-
heitsein. JnDeutschlandistmanderUeberzeugung, diesen
Gegendienst während dcs Balkankrieges und des Ber-
liner Congresses, auf welchem Fürst Bismarck die Rvlle
des ehrlichen Maklers spielte, vollauf geleistet zu haben.
Die Russen sind anderer Meinung; sowohl damals
wie in der ganzen Folgezeit habe die enge Freundschaft
mit Deutschland Rußland nur Schaden gebracht. Auch
daß Deutschland sich an einem Theile bemüht hat, die
Verletzung des Berliner Vertrages durch Bulgarien
nicht zu einem Weltbrande werden zu lassen, ist ein
Zeichen unserer Undankbarkeit, eine verderbliche Folge
der Theilnahme Rußlands an dem mitteleuropäischen
Friedensbunde. „Das Uebergewicht Deutschlands lastet
schwer auf uns" — klagt die russische Presse, und das
in einem Augenblicke, da Rußland sich nicht minder
eigenmächtig, wie Bulgarien, über den Berliner Ver-
trag hinwegsetzt! Was ist denn dieses angebliche Ue-
bergewicht Deutschlands Anderes, als daß es der
Staatskunst des Fürsten Bismarck gelungen ist, drei
vder vier Großmächte zu einer ehrlichen Friedenspolitik

zu vereinigen? Ein solcher Friedensbund legt noth»
wendig jedem Theilnehmer die Verpflichtung auf, dem
Jnteresse der Uebrigen zuwiderlaufende Bestrebungen
bei Seite zu lassen. Diese Fessel ist es, welche die
Russen sprengen wollen. Jhr Ziel ist der Besitz Kon-
stantinopels, nur wer sie in der Erreichung desselben
fördert, gilt ihnen als Freund, wer ihnen darin hinder-
lich ist, ist ihr Feind. Nun, solche Förderung werden
sie von Deutschland nie zu erwarten haben. Wie gering
die Jnteressen des deutschen Reiches als solchen in der
Türkei sein mögen, zum Vortheil des Deutschthums
im Ganzen wäre es jcdenfalls nicht, wenn die Balkan-
halbinsel in die Hände Rußlands fiele. Unsere Freund-
schaft gegen Rußland mag uns bestimmen, die Verge-
waltiguüg des Deutschthums innerhalb der russifchen
Grenzen schweigend hinzunehmen; aber die Welterobe-
rungspläne deS Panslavismus auf Kosten des Deutsch-
thums zu unterstützen — dieser Preis wäre uns für
die russische Freundschaft denn doch wohl auf immer
zu hoch. Das ist so selbstverständlich, daß die offizielle
Politik Rußlands stets damit gerechnet und sich dem-
gemäß eingerichtet hat. Möge es ihr auch diesmal
gelingen, sich der Einwirkung des fanatischen Pansla-
vismuS zu entziehen!

Berlin, 9. Aug. sHerr v. GiersZ der russi-
sche Minister der auswärtigen Angelegenheiten, hat
nunmehr seine Reise in'S Ausland angetreten. Wenn
jetzt von einigen Blättern behauptet wird, daß diese
Reisc niemals aufgeschoben worden sei, sondern genau
zu dem festgesetzten Zeitpunkt erfolge, so rechnen sie
doch allzu stark auf die Vergeßlichkeit ihrer Leser.
Von halbamtlicher Seite war vor Wochen feierlich an-
gekündigt worden, daß Herr v. Giers zum Besuch des
Fürsten Bismarck nach Kissingen reisen werde, und
erst im letzten Augenblick wurde dieser Reiseplan auf-
gegeben. Wenn Herr v. Giers jetzt endlich seine Reise
antritt, so zweifelt Niemand daran, daß er auf seinem
Wege auch die Gelegenheit suchen und finden werde,
mit dem Fürsten Bismarck und viclleicht auch mit dem
Grafen Kalnoky zusammenzutreffen. Von russischer
Seite hatte man versichert, daß der wiederholte Auf-
fchub seiner Sommerreise lediglich durch persönliche
Gründe veranlaßt sei. Es war dies, wie wir damals
auSdrücklich hinzusetzten, die Auffassung, die man in
Petersburg verbreitet zu sehcn wünschte. Die politische
Welt hat glcichwohl eine andere Auffassung davon
gehabt und demgemätz erblickt sie auch jetzt in der
endlich erfolgten Abreise des Ministerr v. Giers eiu
deutliches Anzeichen dafür, daß die russische Regierung
nunmehr entschlossen ist, wiederum einen Anschluß an
die verbündeten Nachbarreiche zu gewinnen und damit
der drohenden Vereinsamung rechtzeitig zu entgehen. j

— sAntoine Proust,j der frühere französische
Minister der schönen Künste, der mit zwei Begleitern,
dem Generalsekretär Deserguelles und dem Ministeral-
rath Hebraro, vorgestern Abend hier eingetroffen ist,
reist dem Vernehmen nach in amtlichem Auftrage, um
über die Lage und die Einrichtungen der deutschen
Textilindustrie Bericht zu erstatten. Deutscherseits findet
diese Dcputation, die schon einige größere Jndustrie-
städte der Westprovinzen besucht hat, das freundlichste
Entgegenkommen.

Heidelberg, 9>Aug. sDie Eröffnung der
Jahresvers ammlung der Op thalmologi-
schen Gesellschaft.j Heute Vormittag fand in
der Aula der Universität die Eröffnung der Jahres-
versammlung der Opthalmologischen Gesellschaft in
Anwesenheit von etwa 150 Mitgliedern aus allen
Theilen Europas, des Prorectors und deS Senats der

Universität und der meisten hiesigen medicinischen
Professoren statt. Professor Zehender (Zürich) eröffnete
mit einer kurzen Ansprache die Versammlung und
ertheilte hierauf dem Professors Donders (Utrecht)
das Wort, welcher die alle zehn Jahre vorzunehmende
Zuerkennung der großen goldenen Graefe-Medaille
durch die statutenmäßig ihr vorangehende Rede über
die Verdienste Albrecht von Graefe's einleitete. Nach
Beendigung der Rede erfolgte die Ueberreichung der
Medaille an Profeffor Helmholtz als Denjenigen, der
sich unter allen Lebenden innerhalb der letzten zehn
Jahre am meisten um die Förderung der Augenheil-
kunde verdient gemacht hat. Nachdem der die Ueber-
reichung begleitende begeisterte Beifall verklungen war,
dankte Professor Helmholtz in längerer gedankenreicher
Rede. Am Nachmittag war Festbanket im Schloßhotel.

Oesterreich-Ungarn.

BadGastein, 9. Aug. (Gras Kalnokyj machte
um 5»/4 Uhr in Uniform mit grünem Federbusch einen
Besuch beim Fürsten Bismarck, der dem Grafen bald
einen Gegenbesuch machte.

— sDer österreichische Kaiserj begab sich
um 11 Uhr in der Uniform seines Franz-Grenadier-
Regiments, begleitet von einem Flügel-Adjutanten,
zum Kaiser Wilhelm, blieb bis IIVs Uhr bei seinem
kaiserlichen Freunde und begab sich dann zum Schwai-
gerhause, um dem Fürsten Bismarck einen Besuch ab-
zustatten. Als der Kaiser in den Garten eintrat, kam
ihm der Fürst entblösten Hauptes mit der Fürstin ent-
gegen; der Kaiser erwiderte den Gruß des Fürsten
durch einen herzlichen Händedruck, trat in das Haus
ein und verweilte eine volle halbe Stunde. Beim
Abschied sprach der Kaiser, den Helm in der Hand,
noch eine Weile mit der Fürstin. Herbert Bismarck
geleitete Se. Majestät sodann bis an das Gartenthor.
Heute Nachmittag um 3 Uhr vereinigt eine Festtafel
die hohen Herrschaften bei Kaiser Wilhelm.

— sKaiser Franz Josephj begab sich heute
früh 8 Uhr zu der Kaiserin in die Villa Meran nnd
kehrte um 9 Uhr in sein Absteigequartier zurück. Um
8Vr Uhr traf Graf Kalnoky hier ein und empfing als-
bald den Be uch des Fürsten Bismarck.

— sKaiser Wilhelmj stattete heute um 12^
Uhr dem Kaiser Franz Joseph in Straubingers Hotel
einen Besuch ab, nachdem sich bereits um Vr12 Uhr
Fürst Bismarck dorthin begeben. Der Besuch des
Kaisci.S Wilhelm dauerte bis 1 Uhr 35 Minuten.
Dann machte der Kaiser eine Ausfahrt im offenen
Wagen in's Böckenthal. Das frische Aussehen des
Kaisers, der sichere Schritt, als er die Treppe hinab-
ging, sind Beweise, daß sein Befinden vortrefflich ist.

— sAn der heutigen Galatafel bei Kai-
ser Wilhelmj nehmen der Kaiser Franz Joseph, der
Fürst und die Fürstin Bismarck, die Personen des
beiderseitigen Gefolges sowie mehrere andere Personen
von Auszeichnung Theil.

— sGraf Kalnokyj begab sich um Mittag zu
einer Audienz bei Kaiser Wilhelm und machte sodann
dem Prinzen Wilhelm vonPreußen seine Aufwartung.
Der Kaiser Franz Joseph empfing den Staatssekretär
Grafen Herbert Bismarck und darauf den Reichskanzler
Fürsten BiSmarck in Audienz.

Jtalien.

Nom, 9. Aug. sDes Papstesj Erkrankung,
die von verschiedenen Blättern gemeldet wurde, erweist
sich als vollständig unbegründet. Der Papst ertheilte
noch am gestrigen Abende mehrere Audienzen.

*sUeber dieBeziehungen zwischenFrank-
reich und dem Vatikanj wird dem Reuter'schen
Bureau aus Rom vom 8. ds. gemeldet: „Der Papst
hat ein Schreiben an Präsident Grevy gerichtet, worin
betont wird, daß der Entschluß des päpstlichen Stuh-
les, diplomatische Beziehungen mit China herzustellen,
keineswegs daz« angethan sei, französische Jnteressen
zu benachtheiligen, sondern dieselben vielmehr zu för-
dern. Se. Heiligkeit drückt zum Schluß die Hoffnung
aus, daß die zwischen Frankreich und dem Vati-
kan bestehenden guten Beziehungen fortdauern werden.

RußltMd.

* sBatumfrage.) Jn einer an Sir Robert
Morier gerichteten Note über die Batumfrage, erklärt
Lord Rosebery, daß er sich im Laufe einer Unterhal
tung mit dem russischen Botschafter über die Gültig-
keit von Verträgen verbreitet, und betont habe, daß
Rußland nicht einen einzigen Artikel eines Vertrages
ohne die Zustimmung der übrigen Unterzeicher dessel-
ben kündigen könne. Ueberdies wäre Rußland diesem
Prinzipe in der Londoner Conferenz beigetreten und
Herr von Nelidoff hätte diesen Beitritt in der Kon-
stantinopeler Conferenz auf's Neue bekräftigt. Lord
Rosebery behauptete, daß Artikel 54 des Berliner Ver-
trages bindend sür Rußland sei, da er sonst nicht in
dem Vertrage mit aufgenommen worden wäre. Das
Protokoll beweise, daß sämmtliche Mächte den Artikel
als obligatorisch betrachteten und England könnte dem-
nach das Vorgehen Rußlands nicht anerkennen.

Türket.

* Konstautiuopel, 7. Aug. sVerschiedenes.j
Das Bureau Reuter meldet: Herr von Nelidoff wird
dem Sultan zwei prächtige Pelze als Geschenk deS
Czaren überreichen. Die im Distrikt Wan und an-
deren Bezirken eingezogenen Redifs sind Mannschaften,
welche noch nicht gedient haben. Jn Beantwortung
von Anfragen verschiedener Mitglieder des diplomati-
schen Corps bezüglich dieser Maßregel hat der Groß-
vezier erklärt, daß dieselbe im Zusammenhange stehe
mit einer mittelst kaiserlichen Jradis angeordneten
Bildung von zwei neuen Armeecorps, welche in Ma-
cedonien stationirt werden sollen. Jn Saloniki und
Vallona werden Militärdepots errichtet.

Heidelberger Jubiläumsbriefe.*)

VII.

r. Heidelberg, 9. August.

Alles Schöne hat einen Anfang und ein Ende, nur die
Llebe mcht. „Die Liebe höret nimmer auf!" sctgt der
Apostel, „und das schlechte Wetter in Heidelberg ebensalls
nlcht. konnte man hinzufügen. Kaum war der Festzug am
Samstag zu Ende. als die goldene Sonne. als ob sie dem
Festcomlte nun der Dienste genug geleistet. plötzlich wieder
lhren Regenwolkenschleier vor's Gesicht zog und den un-
wurdigen Sterblichen ihres Anblicks beraubte. Dessen un-
geachtet war der große allgemeine Commers der Studen-
tenschaft ln der Fefthalle. welchem auch der Großherzog mit
seinem Sohne, die akademischen und städtischen Behörden
anwohnten, so außerordentlich gut besucht, daß die Er-
rrngung emes Sitzplatzes zu den Unmöglichkeiten gehörte.
Der Großherzog hielt eine ganz vorzügliche Ansprache an
die Studentenschaft, worin er dieselbe ermahnte, sich ihren
^deaüsmus zu bewahren und mit einem Hoch auf Se. Ma-
jestat den deutschen Kaiser schloß. Die Kraft und Klang-
fulle des Organs des hohen RednerS wirkte auf Jeden
uberraschend. Bls in die fernsten Winkel des ungeheuren
Raumes drang die Stimme des Fürsten laut nnd vernehm-
lich durch und selbst der lugendstarke Borsttzende der Stu-
dentenschaft, Studlvsus Klaus, seltsamerweise ein Mitglied
der nichtsarbentragenden „Vineta", welcher die Rede des

*) Nachdruck nicht gestattet.

L Asta.

Roman von H. Schobert.

(26. Fortsetzung.)

Sie empfand plötzlich gegen Berken Abneigung, Empö-
rung und tiesste Bitterkeit. Er hatte sie zu dem gemacht,
was ste war, zu einer jämmerlichen Abenteurerin, ihm ver-
dankte sie alles das, was sie von ihreSgleichen schied. Wäre
sie anders gewesen, vielleicht hätte er sie dann geliebt und
ihr Leben wäre ein besieres geworden.

Wenn er doch kommen wollte! Nun sie mit ihrem
Gewisien im Reinen, cmpsand sie nichtS als die leidenschaft-
lichste Sehnsucht nach ihm, nach dem Tone seiner Stimme,
dem Blicke seincr Augen. Wenn er kam und sah, sie
war nicht ganz so schnldig, als er geglaubt, vielleicht er-
wachte die alte Liebe wieder in seinem Herzen und — er
gab ihr nach.

Dann — dann-ihr Kopf sank in ihre Hände,

ein wirreS Träumen kam über sie. Noch hatte sie Zeit,
lange Zeit vor sich, denn sie hatte Berken eine Stunde später
angegeben, als sie sich wirklich sehen wollten.

Ein leiser Wind hatte sich aufgemacht und flüsterte mit
den Blättern der Bäume, der Zweig, auf dem gestern das
Meisenpärchen gesesien, klopfte mit leisem Finger zuweilen
an ihr Fenster. Eine schmale Mondsichel stand am Himmel
und über der Erde lag das schimmernde Halbdunkel einer
warmen Sommernacht. Ueberall war es so still, zuweilen
klang es. als fielen Thautropfen in's Gras und die Kiesern
summten dazu lcise ein Morgenlied.

Da hörte ste Tritte; fest, schnell und elastisch klangen
sie. Erst auS weiter Ferne, dann nähcr und näher. Asta
rührte sich nicht. Sie wußte ja, wer es war, und hätte
sie eS selbst nicht gewußt, das Klopfen ihr-S Herzens allein
hätte es ihr verrathen.

Nun stand sie auf, und ehe er noch um Einlaß gebeten,
öffnete sie ihm die Thür.

Er sah sie vor sich stehen in dem matten Licht der ver-
schleierten Lampe, in dem weißen Kleide, das sie am Tage
getragcn, mit den dunkelrothen Rosen vor der Brust, die
welk und matt die Köpse hingen. Jn diesem Augenblick
erst wurde cs ArSlan klar, daß er etwaS gewagt hatte. das
ihn in seinem Verlauf zwingen konntc, alle Herrschast, die

er über ihr Leben besaß, bedingungSlos aus der Hand
zu geben. Sie war schön, und sie würde ihn bittcn, that
cr recht, wenn er widerstand? War es nicht vielleicht am
besten so?

„Jch dankc Jhnen, daß Sie gekommen sind," sagte sie
leise, und ohne ihm die Hand zu reichcn, machte ste nur
eine einladcnde Bewegung, der er folgte.

„Es war meine Pflicht," erwiderte er höflich.

„Streiten wir nicht, warum es geschehen, daß es ge-
schah, genügt mir."

„Sie haben ein Anliegen an mich, Frau Baronin; ich
glaube zu errathen, worin es besteht."

„Wenn Sie es wiffen, wollen Sie demselben Rechnung
tragen?"

„Jch weiß es noch nicht; die Waage steht gleich, und ich
war von jeher nicht stark im Richten."

„Arslan," sagte Asta, und trat ihm ganz nahe. „Ha-
ben Sie niemals auch nur in Gedanken eine Entschuldigung
sür mich gehabt? Haben Sic nie bedacht, daß ein Mensch,
mag er von Jnnen heraus noch so gut und edel sein, doch
immer nur ein Produkt der Verhältnisie sein wird, die ihn
tyrannisiren?"

„Das ist Sophistik. Damit kommt man leicht durch
das Leben."

„Nennen Sie es immerhin so, verachten Sie es, wie
Sie mich vcrachten, und doch sage ich Jhnen, ich bin
nicht ganz so verdammenswerth, wic ich Jhnen erschei«
nen mag."

„Auch gefallene Engel haben Gründe und Entschuldi-
gungen für ihre Handlungsweise." Arslan wußte, er war
hart und grausam, als er ihr daS sagte, aber er wollte so-
wohl hart wic grausam sein, um zu ergründen, was in der
Seele der Frau wirklich vorgmg.

Sie erblaßte und trat einen Schritt zurück. „Dann,"
sagte ste traurig, „ist es unmöglich für mich, offen gegen
Sie zu sein. Wenn Sie so denken, ist es beffer, ich
schweige."

„Wollen Sie mich nicht veranlassen, Jhnen^die Papiere
auszuliefern, die in meinem Besitz stnd, und die Sie mit
Jhrem Bruder zusammen compromittiren? Auf die Er-
reichung dicseS Zieles kann eS Jhnen doch nur allein an-
kommen, gnädige Frau, warum gchen Die nicht direkt darauf
zu? Bedenken Sie, Sie verlieren Millionen, wenn ich so
indiskrct sein sollte, zu sprechen."

Ton und Lächeln, unter dem er diesc Worte sprach,
waren hähnend und verletzten ste tief. Jhr Gesicht ver-
düsterte sich, ste senkte deu Kopf.

„Jch that unrecht, an Jhren Edelmuth zu glauben."

„Nein, Asta," erwiderte er und kam ihr ganz nahe,
„daS thaten Sie nicht! War eS Jhnen nicht Bcweis genug,
daß ich schweigen wollte, indem ich mit keinem Zeichen eine
Bekanntschaft zwischen uns verrieth, die für mich fast ve»
hängnißvoll geworden wäre? Mein Gewissen machte
mir Vorwürfe, daß ich nicht den Muth fand, dem alten
Mann dort scine letzte Herzensneigung zu zerstören, obgleich
ste seiner unwerth war."

Sie machte eine zuckende Bewegung, schwieg aber.

„Ja, Asta," suhr er fort, „ich will schweigen, aber ich
knüpfc eiue Bedingung daran; sorgen Sie dafür, daß Jhr
Bruder nie seine verruchte Hand nach derjenigen Luciens
ausstreckt, die ich lieber im Grabe wüßte, als an seiner
Seite, um als sein Weib ein elendeS Dasein hinzuschleppen.
Schwören Sie es mir bei Allem, waS JHnen heilig, und ich
will Jhrcn Weg nicht kreuzen."

„Um meinet- oder um seinetwillen nicht?" fragte stc
mit einer deutenden Bewegung nach der Billa Königswinter
hinüber.

„Um seinetwillen. Er ist alt, Asta, und er liebt Sie
wie das letzte Glück, das ihm die Erde darbietet, er liebt
Sie mit jeder Fibcr seineS HerzcnS. Die Wunde würde
ewig schmerzen, ewig bluten. Schwüren Sie es mir."

Sie sah ihn mit einem langen, müden, ernsten Blick an,
den er nicht zu enträthseln vermochte.

„Falsche Fraueu schwören ebenso gut wie wahre, cdle
Frauen," sagte sie leise. „Was kann mir heilig genug sein,
daß Sie mir glauben. Jch schwöre nicht."

„Schwüren Sie mir bci der Erinnerung an Jhre Kind-
heit, diese Zeit muß Jhnen doch auch vom Himmel gesandt
gewesen sein, wie unS allen, ohne daß Sie eine Ahnung
von dem Pesthauch gehabt hättcn, den daS Leben vielleicht
später über Sie gebracht."

Sie lächelte bitter.

„Das glauben Sie. Und doch habe ich niemals das
gekannt, was Sic unter dec Kindheit verstehen. Kein zärt-
liches Mutterauge wachte über mich, mein Dasein wurde mit
ihrem Tode erkauft, niemalS strich eine liebevolle Hand über
den Scheitel des vereinsamten Kindes, sührte mich durch das
Leben. Mein Vater — o daß ich nicht anderS von ihm

sprechen kann — war ein Spielcr von Profession, ein ver-
armter Edelmann, der sich und seine b-iden Kinder nicht
anderS zu unterhalten verstand, als durch die bunten Blät-
ter, die seinc Hand Tag und Nacht hielt. Jch habe ihn
kaum gekannt. So lange ich denkea kann, war mein Bru-
der mein Schützer und Leiter, uad ich liebte ihu dafür, alS
das einzigste, was mir die Welt gegeben. BlindlingS folgtc
ich seinem Willen. Ob es recht oder gut war, danach zu
fragen, kam mir nicht zu, er war ja mein Bruder!"

„Wohl," sagte er milde, „und Jhrc Liebe zu ihm hat
nicht ausgehört?"

„Nein, nicht ganz, aber sie wurde bcfleckt, o so sehr be-
fleckt. Jch war jung und schön, ich war ehrgeizig und
dürstete.nach einer Stellung, dic mich hoch über meine da-
maligen Verhältniffe hinaus heben sollte, denn allmälig be-
gannen mir über das, was geschah, die Augen aufzugehen. Da
verheirathete er mich. Jch, bcinahe noch ein Kind, er ein
Greis, entnervt, verdorben bis in den letzten BlutLtropsen
hineio. Seine Liebe zu mir widerte mich an, ich begann
ein Gesühl für verächtlich zu halten, daS die Männer zu
Thoren und Wahnsinnigen macht. AlS er endlich starb,
athmete ich auf, wie von einem Alp befreil. Er war cin
Deutscher, in diesem Augenblick trage ich seinen Namen
wieder." Arslan machte eine Bewegung, sie zu unterbreche».
aber sie wieS sic zurück.

„Warten Sie! Halten Sie mich nicht für tadellos,
weil mein LebenSmorgen durch die Schuld Anderer verdun-
kelt wurde. Jch sage Jhnen, ich habe schwere Sünden zu
bereuen. Aber in der Zeit, von der ich jetzt spreche, sün-
digte ich nicht, da versündigten sich Andere an mir. Jn
meiner frühesten Jugend war ich mit Menschen verbunden,
die ich in spätereu Jahren alS verzwcifelte, unersättliche
Spieler kennen lernte, denen nichts anderes galt als der
Durst nach Gold und wieder Gold. Jch war »on dieser
Erkenntniß zuerst crschreckt, dann durch das, was ich sah
berauscht, bctrogen, irregeführt durch alles, was in mir
an guten und schlimmen Eigenschaften lebte. Zu spät
erst erkannte ich die volle Wahrheit, — fand dann jeden
Rückweg versperrt, sah mich rettungsloS gebunden, fand,
daß —"

Sie schwieg plützlich und verschluckte die letzten Worte,
aber ihre Hand, die in den Falten ihres Kleides herabhing,
ballte stch, als wolle sie endloses Unrecht rächen.

(27. Fortsetzung siehe 2. Blatt.)
 
Annotationen