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Unverzagt, Wilhelm
Terra sigillata mit Raedchenverzierung — Materialien zur römisch-germanischen Keramik, Band 3: Frankfurt/​M., 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.43353#0045
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VII. Die Rädchenverzierung in der merovingischen Keramik.
Von der spätrömischen Sigillata scheint sich die Rädchenverzierung unmittelbar auf
das schwarze merovingische Geschirr fortzusetzen. Rädchenmuster auf diesen
nachrömischen Gefäßen sind zum Teil fast identisch mit denen auf der späten Sigillata. All-
mählich aber tritt eine Vergröberung in der Linienführung ein, die einzelnen Muster werden
roher und verwaschener, daneben erscheinen auch flach aufgepreßte Einzelstempel. Zum Schluß
verschwindet auf einem Teil der merovingischen Formen die Rädchendekoration überhaupt
vollständig und wird durch Einzelstempel ersetzt. Auf einem anderen Teil dagegen hält sie
sich sehr lange, wenn auch in einfachsten Mustern. Ja, auf einer besonderen Gruppe karolingischer
Keramik, deren Töpfereien in Straßburg zu suchen sind, treten noch Rädchenmuster in der
Form eines stark verwilderten laufenden Hundes auf1).
Als wichtigste Gefäßform des schwarzen merovingischen Geschirres mit Rädchenver-
zierung aus Nordgallien kommt die doppelkonische Urne in Betracht, jenes für
die auf den Sturz der Römerherrschaft folgenden Jahrhunderte charakteristische Gefäß, das
in keinem merovingischen Friedhof fehlt und in Hunderten von Exemplaren ans Tageslicht
gekommen ist-. Was seinen Ursprung angeht, so ergibt die weite germanische Schüssel in römische
Technik umgesetzt von selbst die große merovingische Urne des 5.—7. Jahrhunderts 2). Die
Vorgänge werden etwa so verlaufen sein, daß nach der Besitzergreifung des linken Rheinufers
und Nordgalliens die germanischen Einwanderer ihre weiten, ohne Scheibe geformten Terrinen
mitbringen, die dann von den unterworfenen Töpfern auf der Scheibe in spätrömischer voll-
endeter Technik nachgebildet werden. Dem auf schwarze Gefäße gerichteten Geschmack der
neuen Herren des Landes muß Rechnung getragen werden, so daß die Sigillatatechnik ganz
von selbst in den Hintergrund gedrängt wird und sehr bald in Vergessenheit gerät. Der obere
Teil der einheimisch-germanischen Schüssel trägt schon in Norddeutschland eine wenn auch
ganz primitive Stempelverzierung; es mag an dieser Stelle daran erinnert werden, daß die so-
genannten Mäanderurnen der Kaiserzeit schon eine Rädchenverzierung nach Art der Muster
Nr. 158 getragen haben. Es hat also sehr nahe gelegen, die spätrömische nordgallische Rädchen-
dekoration auf die Schulter der doppelkonischen Urnen zu übertragen.
Die Übernahme der germanischen Urne in römische Technik und die Übertragung der
Rädchenornamentik von der Sigillata auf diese Form kann zuerst nur in einer Gegend und an
einer Stelle geschehen sein, wo die Tradition unbehindert durch die germanischen Einfä'le ge-
wahrt blieb. Man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß diese Vorgänge sich
in den Töpfereien abgespielt haben, in denen vorher die rädchenornamentierte Sigillata pro-
duziert worden ist. Wir kennen derartige Töpfereien bis jetzt nur in den Argonnen um Lavoye,
Avocourt und Vauquois. In Lavoye sind bereits Reste merovingischen Geschirres gefunden
worden (Angaben von Forrer), so daß für einen Teil der fränkischen Urnen dort die Fabrik gesucht
werden darf. Der Übergang an anderen Stellen des von den Germanen besetzten Gebietes wird
sich in der Weise vollzogen haben, daß die betreffenden Töpfer die Muster ihrer Rädchen den
ihnen noch vorliegenden Sigillatagefäßen mit Rädchenverzierung entnommen haben. Indem
die so gewonnenen sich von der Vorlage schon entfernenden Muster wieder anderen Töpfern
als Vorlage dienten, ist bald jene für die meisten merovingischen Rädchenmuster charakteristische
Vergröberung und Verballhornung der römischen Vorlagen entstanden.
Als Proben aus linksrheinischen fränkischen Friedhöfen sind in Abb. 30 eine Anzahl
Urnen des Mainzer Altertumsmuseums und in Abb. 29 die zugehörigen Rädchenmuster
wiedergegeben.

’) Elsäss. Anzeiger VI (1914) S. 566 ff. Fig. 130 u. 133 und VII (1915) S. 610 ff. Fig. 166 u. 195.
2) Vgl. Materialien II Keramik von Alzei S. 29 u. Brenner, VII. Bericht d. Röm.-Germ. Kommission S. 294.
 
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