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Volkmann, Ludwig [Hrsg.]
Die graphischen Künste der Gegenwart (Band 3): Das moderne Buch — Stuttgart, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.37737#0740

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274 DIE HEUE BUCHKUNST *

lernen, daß die Größe der Kolumne zum Grade der Schrift ein rechtes Verhältnis
habe, daß der Schriftspiegel gut proportioniert auf dem Papierblatt stehe, daß die
Papierränder zum Schriftspiegel recht abgemessen seien, je voller, lückenloser der Satj,
um so Ichöner, dekorativer die Wirkung der Seiten. Auch jedwede Kleinigkeit muß
man beachten. Kapitelüberlchriften, Kolumnentitel, Seitenzahlen, Anmerkungen,
Randnoten, Druckvermerk, alles das muß sich gelchmackvoll in das ganze Bild der
Seite, des Buches einordnen. Und aller Bildlchmuck, Initialen, Kopfleisten, Schluß-
stücke, Seitenumrahmungen, Textbilder, soll in der Schwarzweißwirkung oder in den
Farbenvaleurs zu der gewählten Drucklchrift passen, mit dem Typenbilde harmonilch
zusammenwirken. Viel und mehr als man gemeinhin denkt, kommt auf Druckfarbe
und Papier an; und Vorsa^papier und Einbandmaterial und die Dekoration des Ein-
bands müssen miteinander und mit dem ganzen Buche in Einklang liehen.
Für all das wurde dem aufmerksamen Beobachter der Blick von neuem gelchärft
an den unvergleichlichen Vorbildern aus der alten Zeit. Schon einmal, in der Renais-
sancebewegung der siebziger und achtziger jahre hatten Drucker wie Huttier und
Knorr & Hirth, Wallau und Drugulin und Holten, Verleger wie Hirth, Pullet, Liebeskind,
Velhagen & Klasing, Grote im Verein mit Künstlern wie Sei^, Hupp, Doepler zurück-
gegriffen auf die Druckausllattung unserer fchönen Renailsancebücher. Aber so achtens-
wert ihre Druckarbeiten, Bücher wie Akzidenzen, auch waren, lie blieben, wie jene
ganze Renaissancebewegung im Kunltgewerbe, allzusehr in der Nachahmung Hecken,
lie drangen nicht in den Geilt ihrer Vorbilder ein, gaben keine neuen Gedanken und
Formen und brachten also die Kunlt nicht vorwärts in neuzeitlichem Geille.
Eine wirkliche »Renaissance«, d. h. doch Wiedergeburt, unterer Buchdruckerkunst,
- das wilsen wir und wollen wir neidlos anerkennen - se^te ein mit der Bucharbeit
von William Morris, der die Lehren, die er aus dem Studium der Werke der alten
deutlchen und italienilchen Meilter des Buchdrucks abllrahierte, zuerll in die Praxis
umse^te. So hoch wir die Bücher aus Morris' Keimscott Press auch einlchä^en um ihrer
dekorativen Schönheit, um ihrer Harmonie in allen Teilen, um ihrer Qualität aller
Materialien und der Technik der Ausführung willen, wir mußten über sie hinauskommen,
mußten in weiteren Arbeiten ihren altertümlichen Charakter abllreifen und die Kunlt
im Geille der neuen Zeit weiter entwickeln. Das haben Ichon in England die Buch-
künstler, die den Spuren des Reformators Morris folgten, getan. Und untere Künstler,
die seit der Mitte der neunziger jahre ihre Kunlt in den Dienst des Buchgewerbes
Hellten, lind nicht wieder bei der bloßen Nachahmung der englilchen Anreger und
Pfadfinder liehen geblieben, - dann hätten wir ja keine »neue« deutlche Buchkunll
bekommen, - sondem sie sind weiter fortgeichritten auf eigenen Wegen.
Aber bevor untere Druckerkunlt hineingezogen wurde in die Harke neue kunst-
gewerbliche Bewegung, hatten wir einen selbltändigen Vorläufer, einen großen
Künstler, der aus sich heraus, ohne fremder Vorbilder oder Anregung zu bedürfen,
ein Werk hoher Buchkunll geichaffen hatte. Ich meine Max Klinger, der, damals
23 jährig, 18 8 o die neue bei Stroefer in München erlchienene Ausgabe von Apuleius' Amor
 
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