54 Stellung der Baukunst, der Bildhauerei und der Malerei
folge unter dem Namen der bildenden begreife, eine solche Stellung
einst wirklich eingenommen, werden uns vor Allem die alten Griechen
und die Italiener des Mittelalters lehren. Schliesslich wird sich daraus
die Stellung jener Künste in unsern Tagen und was wir uns von ihnen
versprechen dürfen, so gut wie von selbst ergeben.
Gleich der Dichtkunst und der Musik sind auch die bildenden Künste
die Töchter der schöpferischen Kraft im Menschen, der Phantasie,
welche bestimmt ist, uns die Schönheit in der einer jeden Kunst ent-
sprechenden Form in unendlicher Mannichfaltigkeit zu offenbaren. Wie
der Dichtkunst die Sprache, der Musik der Ton, so ist den bildenden
Künsten der sinnliche, durch die Anschauung auffassbare Stoff als
Ausdrucksmittel gegeben, sei es nun, dass er, wie bei der Architektur
und der Bildhauerei, zugleich greifbar, oder, wie bei der Malerei, nur
scheinbar ist.
Wie allgemein und wie ursprünglich diese Ausdrucksweise der Phan-
tasie für die unmittelbare sinnliche Anschauung dem Menschen innewohnt,
zeigen die vielen kindischen Kunstversuche bei Völkern, welche auf einer
sehr niedrigen Stufe der allgemeinen Cultur stehen. Die höchste Aus-
bildung derselben aber hat nur bei wenigen, in seltenem Masse begabten
und von geographischen und historischen Verhältnissen vorzüglich be-
günstigten Völkern stattgefunden, deren Kunstdenkmäler daher auch
als Geistesblüthen, welche in so vielen Jahrtausenden nur an einigen
Stellen unseres Planeten zur Entfaltung gekommen, von den Gebil-
deten aller Zeiten und Länder mit Begeisterung bewundert und ange-
staunt werden.
Wiewohl der Mensch in allen oben angeführten Künsten als Schöpfer
erscheint, so drängt sich doch das Product keiner anderen Kunst im Ver-
gleich mit der grossen äusseren Welt (dem Makrokosmos) so sehr als
Welt im Kleinen (Mikrokosmos) auf, wie dies bei den bildenden Künsten
der Fall ist. Wie die Gottheit die Welt nach ewigen Gesetzen der höchsten
Zweckmässigkeit und Schönheit geordnet, welche so geordnete Welt die
Griechen treffend und schön mit dem einzigen Worte „Kosmos", die Kömer
mit „Mundus" ausdrückten, so gestaltet der Mensch, in welchem der in ihn
gelegte göttliche Keim zur Ausbildung gelangt ist, seine Umgebung nach
ebenfalls ewigen, seinem Geiste innewohnenden Gesetzen der Schönheit
und drückt ihr das Gepräge dieses seines Geistes auf. Da nun aber der
Mensch ebensogut ein Geschöpf der Natur ist wie alle anderen Dinge auf
der Erde, so kann man die durch den menschlichen Geist vermittelten Er-
zeugnisse der bildenden Künste füglich Naturproducte in zweiter Potenz
nennen, in denen die Natur zum deutlichen Ausdruck des ihr bewusst ge-
wordenen Gesetzes der Schönheit gelangt ist.
Wie sich nun auf der grossen Erde die Gebirge nach Art des Gesteins
und der Einwirkungen der Elemente bald in erhabener Mächtigkeit und
Schroffheit, bald in sanften, lieblichen Schwingungen erheben, so steigen
in der kleinen Welt, welche sich der Mensch erschafft, nach Art der gei-
stigen Anlage und der historischen Erlebnisse bald himmelanstrebende
Pyramiden, bald schöne Tempel oder hohe Dome, und wieder majestätische
Paläste und heitere Villen empor. Die Gesetze der Regelmässigkeit und
Schönheit der Verhältnisse, welche in den gewaltigen Gebirgen aus der
Masse des derben Gesteins nur in den kleinen Krystallen zum bestimmten
Ausdruck und zu scharfer Form gelangen, gestalten bei jenen Kunstge-
birgen, welche der Mensch hervorbringt, dagegen die ganze Masse und
folge unter dem Namen der bildenden begreife, eine solche Stellung
einst wirklich eingenommen, werden uns vor Allem die alten Griechen
und die Italiener des Mittelalters lehren. Schliesslich wird sich daraus
die Stellung jener Künste in unsern Tagen und was wir uns von ihnen
versprechen dürfen, so gut wie von selbst ergeben.
Gleich der Dichtkunst und der Musik sind auch die bildenden Künste
die Töchter der schöpferischen Kraft im Menschen, der Phantasie,
welche bestimmt ist, uns die Schönheit in der einer jeden Kunst ent-
sprechenden Form in unendlicher Mannichfaltigkeit zu offenbaren. Wie
der Dichtkunst die Sprache, der Musik der Ton, so ist den bildenden
Künsten der sinnliche, durch die Anschauung auffassbare Stoff als
Ausdrucksmittel gegeben, sei es nun, dass er, wie bei der Architektur
und der Bildhauerei, zugleich greifbar, oder, wie bei der Malerei, nur
scheinbar ist.
Wie allgemein und wie ursprünglich diese Ausdrucksweise der Phan-
tasie für die unmittelbare sinnliche Anschauung dem Menschen innewohnt,
zeigen die vielen kindischen Kunstversuche bei Völkern, welche auf einer
sehr niedrigen Stufe der allgemeinen Cultur stehen. Die höchste Aus-
bildung derselben aber hat nur bei wenigen, in seltenem Masse begabten
und von geographischen und historischen Verhältnissen vorzüglich be-
günstigten Völkern stattgefunden, deren Kunstdenkmäler daher auch
als Geistesblüthen, welche in so vielen Jahrtausenden nur an einigen
Stellen unseres Planeten zur Entfaltung gekommen, von den Gebil-
deten aller Zeiten und Länder mit Begeisterung bewundert und ange-
staunt werden.
Wiewohl der Mensch in allen oben angeführten Künsten als Schöpfer
erscheint, so drängt sich doch das Product keiner anderen Kunst im Ver-
gleich mit der grossen äusseren Welt (dem Makrokosmos) so sehr als
Welt im Kleinen (Mikrokosmos) auf, wie dies bei den bildenden Künsten
der Fall ist. Wie die Gottheit die Welt nach ewigen Gesetzen der höchsten
Zweckmässigkeit und Schönheit geordnet, welche so geordnete Welt die
Griechen treffend und schön mit dem einzigen Worte „Kosmos", die Kömer
mit „Mundus" ausdrückten, so gestaltet der Mensch, in welchem der in ihn
gelegte göttliche Keim zur Ausbildung gelangt ist, seine Umgebung nach
ebenfalls ewigen, seinem Geiste innewohnenden Gesetzen der Schönheit
und drückt ihr das Gepräge dieses seines Geistes auf. Da nun aber der
Mensch ebensogut ein Geschöpf der Natur ist wie alle anderen Dinge auf
der Erde, so kann man die durch den menschlichen Geist vermittelten Er-
zeugnisse der bildenden Künste füglich Naturproducte in zweiter Potenz
nennen, in denen die Natur zum deutlichen Ausdruck des ihr bewusst ge-
wordenen Gesetzes der Schönheit gelangt ist.
Wie sich nun auf der grossen Erde die Gebirge nach Art des Gesteins
und der Einwirkungen der Elemente bald in erhabener Mächtigkeit und
Schroffheit, bald in sanften, lieblichen Schwingungen erheben, so steigen
in der kleinen Welt, welche sich der Mensch erschafft, nach Art der gei-
stigen Anlage und der historischen Erlebnisse bald himmelanstrebende
Pyramiden, bald schöne Tempel oder hohe Dome, und wieder majestätische
Paläste und heitere Villen empor. Die Gesetze der Regelmässigkeit und
Schönheit der Verhältnisse, welche in den gewaltigen Gebirgen aus der
Masse des derben Gesteins nur in den kleinen Krystallen zum bestimmten
Ausdruck und zu scharfer Form gelangen, gestalten bei jenen Kunstge-
birgen, welche der Mensch hervorbringt, dagegen die ganze Masse und