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ÜBER

DEN KÜNSTLERISCHEN BILDUNGSGANG
RAPHAEL'S

UND

SEINE VORNEHMSTEN WERKE.

Raumer's Historisches Taschenbuch 1859.

Es ist eine sehr treffende Bemerkung Goethe's, dass es, um die höch-
sten Erscheinungen in Kunst und Wissenschaft hervorzubringen, nicht an
dem hochbegabten Genie genügt, sondern dass hierzu auch noch Lebens-
verhältnisse treten müssen, welche der Entvvickelung desselben günstig
sind. Denn wie eine edle Pflanze in einem milden Klima, abwechselnd
von der Sonne beschienen, von lauen Lüften erquickt, von warmem Regen
getränkt, zur herrlichen Entfaltung ihrer Blüthenkrone gelangt, dagegen
im dürren Boden und vom Nordwind gepeitscht, wennschon ihre edle Art
nicht verläugnend, dennoch mehr oder minder verkrüppelt: so ist auch,
wie so viele Beispiele beweisen, das höchste Wesen der irdischen Schöpfung,
der geniale Mensch, in hohem Grade von den günstigen oder widrigen
Bedingungen seines Lebens abhängig.

Nur selten begegnen wir aber in der ganzen neueren Zeit einem Bei-
spiel, dass fast durchgängig so günstige Gestirne über der Entwickelung
eines Genius gewaltet haben, wie über Raphael. Betrachten wir zunächst
die Umgebungen und die Eindrücke, weiche Raphael schon als Kind em-
pfing. Die kleine Stadt Urbino, in welcher er am 28. März 1483, am
Charfreitag1, das Licht der Welt erblickte, krönt den Gipfel eines hohen

1 Es sollte vielmehr heissen: am 6. April 1520. Waagen folgt noch der
alten Deutung der Stelle bei Vasari: »Er endete gerade an seinem Geburts-
tage, welcher der Charfreitag war, siebenunddreissig Jahre alt.« Der Charfreitag
1483 war allerdings der 28. März. Aber diese Stelle, namentlich im Zusammen-
hang mit der Stelle in Bembo's Grabschrift im Pantheon: »vixit annos XXXVII
integer integros« ist offenbar so zu verstehen, dass er am selben Monatstage
starb, an dem er geboren war. Sein Geburtstag ist also, wie der Charfreitag
des Jahres 1520, der 6. April. — Vgl. Passavant, Raphael von ürbino, III,
S. 6. A. W.
 
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