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mehr gebildet, dafür waren sie es. Der wirkliche Künstler muh der Bildner seiner
Bildungen sein. Und die Gebildeten insgesamt sollten sich endlich entschließen, aus der
Passivität der Bildung zur Aktivität des Bildes aufzuschauen.

Die Bildung ist eine Tatsache, die die Tat vernichtet und uns zu einer Sache
macht. Wir schließen unsere allgemeine Bildung ab und werden Spezialisten. Wir
nennen uns Analytiker. Und bringt die Sache wenig Geld ein, nennen wir uns Wissens
schaftler. Manchmal auch Forscher. Wir forschen nach den Elementen. Erst gab
es nur vier, dann sechzig, jeßt ungefähr einhundert. Und jedesmal, wenn die Herren
Forscher die Elemente ansehen, sind es wieder mehr. Wir forschen nach den
Bakterien, finden sie, aber die Krankheit wuchert ruhig weiter, nur wissenschaftlicher.
Wir forschen nach den alten Meistern und finden jeden Monat neue alte Meister und
immer wieder stellt ein ganz großer Rembrandtforscher fest, daß Rembrandts Reichtum
mit seiner Armut zunahm. Ein altes Rezept übrigens, das immer noch wie neu auf
Aerzte wirkt. Andere Kunsthistoriker suchen die Pläße auf, an denen ein guter Mensch
geweilt hat und die er ihnen nicht vorenthielt. Das Meer sieht zwar anders aus, wenn
man hinkommt, aber man beruhigt sich, das Wetter war eben damals offenbar günstiger.
Die Landschaft hat sich verändert, man mußte die Bäume fällen, um Häuser zu bauen,
auf daß die Landschaftsbilder einen Plaß fänden, sie, die es mehr gibt als Bäume aller
Wälder. Die abgemalten Mensdien sind gestorben, aber irgendwo lebt immer die
Kusine einer Kusine. Und mancher Schädel hat sich noch tadellos in der Erde erhalten.
Das ist die vergleichende Kunstwissenschaft. Kunstwissenschaftler, die nicht mehr ganze
Bilder sehen können, beschäftigen sich mit interessanten Einzelheiten, insbesondere mit
der Zusammenseßung der Leinwand. Einzelheiten, die ihnen nicht passen, nennen sie
übermalt. Sie lösen mit der Kraft der Elemente alles ab und o Wunder, jedesmal war
eine Untermalung da. Elemente sind nämlich klüger als Kunsthistoriker. Elemente sind
Synthetiker, sie binden, was die andern trennen. Aber auf analytische Weise ist noch
niemand Kunstkenner geworden. Nicht darauf kommt es an, daß der große Name
noch lebt, sondern darauf, daß das Bild lebt. Namen haften in jedem Gedächtnis,
Bilder nicht. Darum überleben die Namen die Bilder.

Aber ein Bild lebt länger als alle Namen. Ethnographie ist keine Graphik.
Unsere Museen sind ethnographische Anstalten und in den ethnographischen Museen
liegt noch die große Kunst begraben. Die Kunst der Namenlosen. Der Künstler sieht
und sucht Bilder. Er erinnert sich nicht, er ersinnt.

Seien wir doch einmal natürlich. Aber wirklich. Denn wird man bestreiten
wollen, daß unser Körper und alle Körper sich fortwährend bilden. Tut das der Körper
nicht mehr, sind wir nämlich tot. Doch während unser Körperliches lebt, steht unser
Verstand still. Wir merken das nicht, denn unser Verstand ist sehr schnell satt. Nur
der Magen schreit. Der Körper erinnert uns wenigstens an sein Bilden. Plößlich ist
der Rock zu eng oder die Bluse zu weit. Wir merken etwas. Der Verstand ist satt.
Wir wissen alles. Alles ist schon dagewesen, nur wir sind nie dabeigewesen. Denn
wir wußten schon alles. Da kommt ein Mensch und sieht den Körper wachsen. Man
zieht doch manchmal den Rock aus, es soll auch Menschen geben, die durch die Röcke

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