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AUS UNSEREM AlLTAG

Herwarth Walden war Frühaufsteher, und ich war es zum Glück auch.
Wir konnten täglich viel Arbeit bewâltigen. Waldens Tag fing mit einem
Besuch bei seinem Friseur an. Er war durch seinen Astigmatismus be-
hindert, sich selbst zu rasieren, aber er war auch manuell sehr un-
geschickt. So ging er frühmorgens in die Eichhornstraße, also um die
Ecke, um sich rasieren zu lassen. Auf dem Rückweg kaufte er dann am
Kiosk sâmtliche Morgenzeitungen. Indessen hatte ich das Frühstück vorbe-
reitet, das sehr einfach war: Kaffee, Brot, Butter und Marmelade. Die ein-
gegangene Post, die immer sehr umfangreich war, wurde durchgelesen,
während die Aufwartefrau unten das Biiro und die Ausstellungsrâume
reinigte. Um neun Uhr kamen die Angestellten: das Bürofrâulein, die Aus-
stellungsangestellte, später noch eine Privatsekretârin. Ich half im Büro
mit, die Post abzulegen, Zeitschriftennummern zu versenden und die von
mir eingerichteten Kritikbücher zu kleben. Um 12 Uhr aßen wir einen klei-
nen kalten Imbiß. Aber vormittags, wâhrend er Briefe diktierte, brachte ich
Herwarth noch eine große Kanne Kaffee ins Büro hinunter. Nachmittags
hatte er Sprechstunde, in spâteren Jahren nur noch einige Male in der
Woche. Bis sechs Uhr abends wurden Artikel für den >Sturm< diktiert, und die
neueNummerwurde zusammengestellt. WirlasenKorrekturen odermachten
den Umbruch. Um sechs Uhr ging das Personal, und wir machten uns auch
bereit zu gehen. Unsere Hauptmahlzeit aßen wir am Abend bei Kempinski,
im alten Haus an der Leipziger Straße. Hier konnte man ein Rahmschnitzel
oder etwas âhnliches — Walden war ein Fleischesser — mit Salat und Gemüse
für sage und schreibe 95 Pfennig haben. Ich trank ein Glas Mineralwasser
und Walden Kaffee. Wenn aber die Zeit knapp war, vor allem, wenn wir
 
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