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Gefährliches Leben

Jt5is 1918 war das Leben im >Sturm< nicht das, was man als >ge£ährliches
Leben< hätte bezeichnen können. Wir waren zwar verfemt und wurden von
Presse und Publikum wegen der unverständlichen Kunst und unseres Kamp-
fes heftig angegriffen. Vor allem in den Kriegsjahren wurde uns sehr viel
Feindschaft entgegengebracht, weil wir durch unsere Ausstellungen >Propa-
ganda für feindhche Ausländer< trieben, also für die Künstler aus den
Kriegsländern. Schwer, hart und arbeitsam war in diesen Jahren wohl unser
Leben, aber auch schön — und für mich besonders, weil ich durch meine
Arbeit und meine Einnahmen den >Sturm< über Wasser halten konnte, als
wir ohne diese pekuniäre Hilfe das >Sturm<-Untemehmen nicht hätten wei-
terführen können. Ein gefährliches Leben fing für uns mit der November-
Revolution 1918 an.

Es lag in der Luft, daß sich etwas ereignen mußte. Der Krieg war verloren,
das wußte jedermann, wir zu Hause ebenso wie die Soldaten an der Front.
Wirhungertenbereitsseit Jahren, zuerstnur das Hinterland, schonseit 1916,
dem >Kohlrübenjahr<. Die Front wurde so lange wie möglich am besten
versorgt, aber 1918 war auch dort Hungersnot. Da wir im sogenannten Re-
gierungsviertel wohnten - der >Sturm< lag nahe dem Potsdamer Platz,
also nicht weit von der Wilhelmstraße mit dem Auswärtigen Amt und den
Ministerien —, bemerkten wir bereits im Oktober 1918 Unruhen und Span-
nungen.

In den Wochen vor der Revolution fanden die Proben für das Drama >Sanc-
ta Susanna< von August Stramm statt, das von der >Sturm<-Bühne aufge-
führt werden sollte. Die Leitung und Inszenierung hatte Lothar Schreyer
übemommen. Die Aufführung war als geschlossene Vorstellung in einem
 
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