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DRITTER ABSCHNITT

Die großen Porträtisten
Als Gainsborough zweiund vierzigjährig, damals schon ein Maler
jf\von großem Ansehen, nach London kam und die Werke des
berühmtesten unter seinen Kollegen, Reynolds, kennenlernte, be-
wunderte er, aufrichtig und ehrlich, vor allem die Vielseitigkeit des
weltberühmten Mannes. Solches Urteil verstehen wir nicht mehr
im ersten Augenblick. Wenn wir an Reynolds denken, steht vor
unserer Erinnerung ein Bildnis, ein Herr, eine Dame, ein Kind, eine
Gruppe, gleichviel, aber ein Bildnis; oder ein anderes Bildnis. An
seine anderen Werke denken wir kaum, an seine mythologischen
Kompositionen, und wenn wir es tun und denken etwa an das
Gemälde einer mythologischen Gestalt, an eine Muse, so gleitet
unsere Phantasie fast unbewußt zurück in das Reich des Porträts.
Die „Tragische Muse“ war Mrs. Sarah Siddons. Reynolds ist für
die Nachwelt Bildnismaler. Vielleicht Bildnismaler ein wenig
wider Willen. Denn mit einiger Koketterie sagte er einmal, er
male überhaupt nur Porträts, weil die Leute es verlangten. Aber
er hat immerhin zweitausend Porträts hinterlassen. Weshalb er
so vielseitig ist, wissen wir nicht. Es sei denn der ganze Mann, der
Künstler und Akademiepräsident mit seinen berühmten Reden,
der feine Weltmann, der sich nie verheiratete, der Hofmaler
Georgs III., der vom Hofe aber kaum jemals beschäftigt wurde,
der große Kunstsammler und Kunstkenner, der energische Organi-
sator und der auch als Schriftsteller nicht unbeträchtliche Kunst-
historiker. Aber seine Kunst, sein Schaffen, vielseitig zu nennen,
würden wir nicht wagen, ebensowenig wie wir annehmen möchten,
Gainsborough, dieser anständige Charakter, habe mit dem Wort
etwa eine Anspielung auf die Verschiedenartigkeit von Reynolds
künstlerischen Vorbildern machen und ihn als wählerisch erfahrenen
Eklektiker hinstellen wollen. Dies sind erst spätere und kaum
zutreffende Urteile. Bilder von Eklektikern, die das Gute nehmen
wo sie es finden, sehen anders aus, und Reynolds letztes Wort
als Akademiepräsident, bei seiner letzten Rede, war nicht der Name
eines Malers, sondern Michelangelo. Immer und immer wieder
Michelangelo. Auf einem seiner Selbstbildnisse hat er in den Hinter-
 
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