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Wegner, Max
Hadrian, Plotina, Marciana, Matidia, Sabina — Das römische Herrscherbild, Abteilung 2 ; 3: Berlin, 1956

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https://doi.org/10.11588/diglit.42301#0076
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Hadrian des Typus angelegt sein mochte, inwiefern es umgebildet sei, was der Kopie an stilistischen Verände-
rungen zuzuschreiben wäre und was endlich die Neuzeit durch Herrichtung, Ergänzung und Über-
arbeitung beeinträchtigte. Aus diesen Möglichkeiten ergibt sich eine unübersehbare Vielfalt von
Verhältnissen und Überschneidungen, deren Besonderheit angesichts eines jeden einzelnen Stücks zu
erkennen versucht wurde. Aufs Ganze gesehen, ist die Zeit Hadrians kunstgeschichtlich eine Zeit
des Weiterwirkens und des Übergangs, keine Zeit des Umbruchs, der Entgegensetzung oder der
Neuerung. Schrittweise wird das Trajanische vollendet, verwandelt und aufgezehrt, während sich
das Antoninische anbahnt, ohne noch entschieden antoninischen Charakter zu zeigen. Das Plastische,
die Faßlichkeit des Körperlichen und die dingliche Bestimmtheit der Bestandteile behalten von An-
fang an bis fast ans Ende der Zeit des Hadrian die Oberhand. Erst im letzten Jahrzehnt beginnt die
Formzersetzung mittels des laufenden Bohrers, die Auflockerung des Tastbaren und Abgegrenzten,
das Widerspiel von Rauhem und Glattem, Massigem und Flockigem. Das Aufkommen der Augen-
bohrung, das man herkömmlich mit der hadrianischen Zeit gleichsetzt, kann erst in das letzte Jahr-
zehnt fallen, da noch eine Wiederholung des Typus Panzerbüste Imperatori 32, dessen Urbild
128 n. Chr. anzusetzen ist, ohne Augenbohrung auskommt.
Wie weit bleibt unter dieser Vielfalt kunstgeschichtlicher Erscheinungsformen der eine Hadrian zu
erkennen, und an welche Bildnisse soll man sich am Ende halten, wenn man kurzerhand ein Bildwerk
als Bildnis Hadrians ausgeben oder wenn man an ihm hadrianischen Stil aufweisen will? Soll dafür
der Kopf von Stazione Termini gelten, dessen Erhaltungszustand so frisch und ursprünglich wirkt,
obwohl diese Wiederholung des Typus beträchtlich später entstand als das ihm zugrundeliegende
Urbild? Beruft man sich besser auf die Statue in Vaison als einer ursprünglichen Schöpfung, obwohl
es sich um ein Provinzialbildwerk handelt? Verdient die Panzerbüste im Museo Capitolino, Im-
peratori 32, den Vorzug, weil sie auf eine bedeutende Bildnisehrung für den Pater Patriae zurück-
geht, wenngleich in ihr ein Bronzeoriginal in eine Marmorfassung umgesetzt wurde? Oder die Büste
im Vatikan, Sala dei Busti 283 - aber diese wohl am wenigsten, weil sie als Bildnis eines kranken,
stark gealterten Mannes nach Darstellung und Ausführung von der großen Zahl aller übrigen Bild-
nisse auffallend absticht. Manches spräche bei wiederholter Erwägung für den Kolossalkopf der
vatikanischen Rotunde, weil er das Spätbildnis ausklammert und zu einer unbedingten Gestaltung
eines zeitenthobenen Bildnisses des Hadrian zu gelangen sucht und wohl ein Original ist; aber
dieses Hadrian-Bildnis ist genau genommen nicht mehr hadrianisch.
Wie verschieden würden die Urteile lauten, die sich in charakterkundlicher oder kunstgeschichtlicher
Hinsicht nur auf eines dieser Bildnisse beriefen. Kann man auf der Grundlage des archäologischen
Materials sich überhaupt ein Bild vom Wesen Hadrians machen? Dabei erhebt sich sofort die Vor-
frage, in welchem Sinne bei Hadrian überhaupt von Wesensart zu sprechen sei. Ist er ein Charakter,
der sich einigermaßen gleichbleibt, oder ist seine Geschichte sein Charakter, wie Goethe einmal die
andere Wesensart formuliert hat? Charakter in diesem Sinne eines menschlichen Wachsens und Rei-
fens kann der Archäologe den Bildnissen nicht absehen. Ja sogar das Spätbildnis im Vatikan ist kein
Altersbildnis in diesem Sinne, sondern eher der Effekt einer Katastrophe. Im Sinne seelischen Alterns
verändert sich das Herrscherbild Hadrians nach Ausdruck und geprägter Form während seiner
einundzwanzig]ährigen Herrschaft, vom Spätbildnis abgesehen, nicht nennenswert, obwohl in den
Bildnissen anfangs ein Einundvierzigjähriger, am Ende ein Zweiundsechzig jähriger gemeint ist.
Darin unterscheidet sich das Herrscherbild des Hadrian merklich von den Bildnissen des Marcus
Aurelius; ganz abgesehen davon, daß wir dessen Lebensgang vom achtzehnten bis zum neunund-
fünfzigsten Lebensjahr in ausgeprägten Entwicklungsstufen verfolgen, ist er während der zwei Jahr-
zehnte seiner Herrschaft ganz anders als ein Alternder und zuletzt als ein Greis verstanden worden,
weil ein Kern in der reifenden Frucht steckte. Andererseits ist Hadrians Alterns- oder Entwicklungs-
losigkeit etwas ganz anderes als das weitgehend Gleichbleibende Trajans in dessen Bildnissen, denen

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