Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
entweder gleich dem Psalter in die Hauptstadt selbst oder
gleich der Bibel in das mit Konstantinopel aufs engste ver-
bundene westliche Kleinasien. Worin sich der Rotulus
aber trotz der aufgezeigten Beziehungen von der Vatika-
nischen Bibel und dem Pariser Psalter unterscheidet, ist
seine malerische Technik. LandschaA und Figuren sind
leicht laviert im Tone der braunen Tinte und mit etwas
Blau auf den Rüstungen und etwas Violett auf den Ge-
wändern. Ein sehr lichter Eindruck wird auf diese Art
hervorgerufen^sa. Die Tatsache, daß diese Technik noch
in einer zweiten, allem Anschein nach gleichfalls der ersten
Halde des io. Jahrhunderts angehörenden HandschriA
vorkommt, löst den Rotulus aus seiner isolierten Stellung
und läßt die Lavierungstechnik als ein in der Entstehungs-
zeit der HandschriA bekanntes künstlerisches Ausdrucks-
mittel ersAeinen.
Diese zweite im Zusammenhang mit dem Rotulus zu
behandelnde HandschriA ist ein Evangeliar des Athos-
klosters Philotheu, cod. 3 3^". Erhalten ist nur das
Evangelistenbild des Markus (Abb. 302), der streng frontal
sitzt und in einem Buch schreibt, das er auf dem Schoße
hält. Das Mobiliar ist sehr bescheiden. Dieser Typus ist,
wie mehrfach betont (S. 6, 14), der altertümliche 'Schreiber-
typus' (vgl. Abb. 23 und 74) gegenüber dem mit der Re-
naissance auftretenden meist im ProAl dargestellten medi-
tierenden 'Philosophentyp'. Man könnte ihn daher auch
als einen 'Vorrenaissancetyp' bezei&nen. Aber dennoch
steht das Markus-Bild von Philotheu bereits in engster Be-
ziehung zur Renaissance, nämlich durch die hinter dem
Schreiber sich ausbreitende kulissenartige Architekturwand
im pompejanischen Geschmack, eine peristyle Halle, deren
Säulen orgelpfeifenartig aneinandergereiht sind. In der
Mitte erhebt sich ein Baldachin mit Muschelgiebel. Das
Prinzip der Anlage undGliederung dieserGartenarchitektur
zeigt gewisse VerwandtschaA mit der des Lukas-Bildes im
Stauronikita-Evangeliar (vgl. Abb. 171). Die HandschriA
gehört somit der Zeit des ersten Eindringens antiker
Motive an und bildet gleich dem Rotulus einen Auftakt
zur Macedonen-Renaissance.
Die koloristische Behandlung der Architektur und Ge-
wandung des Evangelisten beschränkt sich im wesentlichen
auf die Weißhöhung, und daneben ist nur etwas ange-
tuschtes Grün und Blau verwendet. Auch etwas Violett
Andet sich in den Säulen und Gelbbraun im Mobiliar. Der
einzige kräAige Farbeindruck ist der Goldnimbus. Diese
Lavierungstechnik ist ähnlich wie im Rotulus, zu dem
auch stilistisch — wenngleich nur lockere — Verbindungs-
fäden existieren in der knappen, etwas skizzenhaAen,
hartbrüchigen Gewandbehandlung mit den gleichsam blitz-
artig aufzuckenden Glanzlichtern.
Die Ornamentik besteht aus einfach tintengezeichneten
Titelbalken, von denen der eine(Abb. ßoß) mit einer schwer-
28Sa Der Bearbeiter der Vatikanischen Faksimile-Ausgabe möchte
die Lavierung a!s eine spätere Zutat ansehen.
"SS Lambros I, S. 133. / Bro&haus, S. 200, Abb. to. / Friend, S. 143.

fälligen Ranke und gerundeten Blattenden geschmückt ist,
ähnlich einem Titelbalken der Vatikanischen Bibel (vgl.
Abb. 279), ein anderer (Abb. 304) mit lyraförmig einge-
schlossenen Palmetten. Die Ornamentik läßt die Feinheit
in der Linienführung und das Kolorit vermissen, das die
Konstantinopeler HandschriAen auszeichnet, so daß eine
Entstehung außerhalb der Hauptstadt immerhin vermutet
werden darf.
Wenn für die Philotheu-HandschriA sowohl wie für den
Rotulus das westliche Kleinasien in Vorschlag gebracht
wird, so geschieht das im wesentlichen auf Grund der
oben dargelegten Stilzusammenhänge mit den Bildern der
Vatikanischen Bibel, die zwar auch nicht mit restlos zwin-
genden, aber doch erwägenswerten Gründen nach Klein-
asien zu setzen ist. Andererseits ist eine Entstehung in
Konstantinopel selbst ernsthaA in BetraAt zu ziehen, ein-
mal wegen der stilistisAen Beziehungen des Rotulus zum
Pariser Psalter, und zum anderen wegen der direkten
Elfenbeinkopien, die allem Anschein nach — wie die
ganze Gruppe der antikisierenden Rosettenkästen — in
einer Konstantinopeler Werkstätte entstanden sind.
Das Evangelistar Lawra cod. 86
Die enge Verbundenheit des Figurenstils mit dem der
Hauptstadt neben der Eigenentwicklung in einer stark
orientalisch beeinAußten Ornamentik, worin die eigentüm-
liche Zwischenstellung der westkleinasiatischen BuAmalerei
sich ausdrückt, ist charakteristisch auA für ein Evangelistar
in Lawra, cod. 8 6^°. Es ist die prunkvollste Hand-
schriA, die in der reiAen Bibliothek dieses Klosters auf-
bewahrt wird, in monumentaler slavonischer Unciale ge-
schrieben und mit übergroßen, zum Teil die ganze Blatt-
seite füllenden schweren Goldinitialen geschmückt. Mehrere
Hände sind an der Ausschmückung tätig gewesen, Hände,
die so weit voneinander diAerieren, daß sie schwerlich alle
aus derselben Werkstätte hervorgegangen seindürAen. Die
Illustration besteht, abgesehen von den üblichen ganz-
seitigen Autorenbildern (Abb. 313—317), aus Evangelisten-
und HeiligenAguren, welche vor die einzelnen Kapitel-
anfänge gesetzt sind (Abb. 303—314). So verschieden im
Stil diese Gestalten sein mögen, stammen sie doch mit Be-
stimmtheit alle aus der Zeit der Codex-NiederschriA, da
der Schreiber jeweils mit den Schriftzeilen einrüAt, um
Platz für die RandAguren zu lassen.
Die Illustration beginnt mit einer Darstellung des
Thomas-Wunders (Abb. 303). Die Bemalung ist fast gänz-
lich abgeblättert bis auf die goldene Tunika Christi, die
sich noch einmal wiederholt bei einer JohannesAgur (Abb.
306), die man aus diesem Grunde derselben Hand zuweisen
möchte. Dieser Johannes ist in schlanken, aber ausgeglichenen
Proportionen und in klarer Kontrapostwirkung wieder-
Das Evangelistenbild ist später eingefügt und gehört nicht zum
ursprünglichen Bestände der HandschriA.
23° Spiridon-Eustratiades, S. 9. / KondakoA, Pamjatniki Chri-
stianskawo iskusstwa, 1902, S. 282. / Bro&haus, S. 190, 202, Abb. 12.

46
 
Annotationen