der durch das Ergreifen der Hand und die Richtung des
Blickes hergestellte enge Zusammenhang der Figuren unter-
einander gelöst, andererseits die Szene nach neuen Gesichts-
punkten auf gebaut: reiche Figurenüberschneidung und
Bewegungsfreiheit der Einzelgestalt sind einer Aufreihung
frontaler Gestalten gewichen. Ein rhythmisches Prinzip
tritt mit dieser Reihung an die Stelle freiräumlicher
Gruppierung. Die mittelalterliche dekorative Flächen-
aufteilung verdrängt die raumillusionistische der früh-
byzantinischen Zeit. Hiermit hängt auch die möglichste
Vermeidung des Raumes überhaupt durch Abschneiden des
Bildfeldes unmittelbar über den Köpfen zusammen. Die
psychologische, durch Gebärdensprache sinnfällig gemachte
Verknüpfung der Gestalten ist einer mehr hieratischen, die
Affekte zurückdrängenden Gestaltungsweise gewichen. Der
Venezianische Hiob hat sich in dieser Darstellung der
Kinder Hiobs bereits so weit von der Patmos-Handschriff
entfernt, daß es zweifelhaft erscheinen könnte, ob über-
haupt diese zwei Handschriften mit einem gemeinsamen
Vorbild in Verbindung gebracht werden dürfen. Aber es
gibt daneben eine ganze Reihe von Bildern im Venezia-
nischen Hiob, in denen der Miniator sich weniger von
seinem Vorbild entfernt und der Zusammenhang mit dem
Patmos-Hiob greifbar bleibt, wie z. B. in der Darstellung
der vier Boten, die dem Hiob die Unglücksnachrichten
überbringen (Abb. 340 vgl. mit Abb. 333). Wie die Boten
von links mit vorgestreckter Rechten herantreten, wie Hiob
rechts in der Tür seines Hauses sitzt, dessen Dach über den
Bildrahmen herausragt, stimmt im Kompositionellen so
weitgehend überein, daß an einem Zusammenhang beider
Handschriften mit derselben Grundredaktion kaum ge-
zweifelt werden kann. Aber wiederum sind die gleichsam
im freien Raum dramatisch sich bewegenden Boten um-
gebildet in eine isokephale und in ihrem Bewegungsausdruck
gehemmte Gruppe. In anderen Bildern tritt zu den auf
dieser Linie liegenden Veränderungen off eine Reduzierung
oder Abstreifung allen Beiwerks. In den Bildern der Ver-
nichtung der Söhne und Töchter (Abb. 341 vgl. mit
Abb. 33z), deren kompositioneller Zusammenhang durch
die Steine schleudernden Teufel links und rechts und
andere Figuren und Einzelheiten offenbar wird, sind
die Diener und Mundschenken fortgelassen. Dasselbe ist
bei der Darstellung des Mahles selbst der Fall (Abb. 343
vgl. mit Abb. 327). Und so lassen sich noch eine ganze
Reihe von Vergleichungen vornehmen, in denen immer
wieder dieselben Unterschiedlichkeiten zutage treten, so
beim Ritt der drei Freunde zu Hiob (Abb. 347)^, wo der
begleitende Troß fortgefallen und die räumliche Staffe-
lung durch einfache rhythmische Reihung der Reiter ersetzt
ist, oder bei dem Forttreiben der Herde (Abb. 339 vgl. mit
Abb. 331), wo statt der verschieden gerichteten Kamele
eine Aufreihung der Tiere dargestellt ist, wo aus dem
Heransprengen der Reiter ein gemächliches Herantraben
3'3 Vgl. Jacopi, Taf. XIX.
si* Beispiele: Jerphanion a. O-, Taf. 46, 50, 52.
geworden ist usw. Die angeführten Stilunterschiede mögen
zum Teil auf das Temperament des Künstlers oder auf die
lokale Eigenart zurückgeführt werden, im wesentlichen aber
darf der Wandel vom Räumlichen zum Flächenhaffen,
von freier illusionistischer Gruppierung der Gestalten zu
ihrer rhythmischen Reihung, von der ungehemmten Äuße-
rung des Affekts zu hieratischer Gebundenheit, von der
Torsion der Einzelgestalt zu ihrer möglichsten Frontalität
als ein zeitlicher verstanden werden, als ein Wandel
von dem in hellenistischer Tradition stehenden vorikono-
klastischen zu dem das hohe Mittelalter vorbereitenden
nachikonoklastischen Stil. Die byzantinische Kunst ist in
dieser Richtung, in der sie verwandte Tendenzen mit
der gleichzeitigen abendländischen Kunst aufweist, nicht
weitergegangen. Die Renaissancebewegung des 10. Jahr-
hunderts schneidet diese Entwicklung, die zu etwas
Ähnlichem wie dem romanischen Stil des Abendlandes
hätte führen können, ab.
Während also der Venezianische Hiob im Kompositio-
nellen vom Patmos-Hiob abhängt, lassen seine besonderen
Stileigentümlichkeiten siA am besten erkennen bei einer
Vergleichung mit einem hauptstädtischen Werk, dem nur
etwa zwanzig Jahre älteren Pariser Gregor. Der Hiob des
Titelbildes (Abb. 344) läßt sich in dem Versuch einer Pon-
derierung und strukturhaffen Erfassung des Körpers mit
ähnlichen Gestalten des Pariser Gregor vergleichen, wie
z. B. dem Christus des Metamorphosis-Bildes (Abb. 18).
Während der Maler des Gregor die Gewandung des
Christus durch reiche Fältelung und Knitterung und un-
ruhige Verteilung der Glanzli&ter zu beleben versucht —
Merkmale, die das ganze 10. Jahrhundert hindurch bis ins
11. Jahrhundert für die Konstantinopeler Kunst typisch
bleiben —, zeichnet sich die des Hiob durch möglichstes Ver-
meiden divergierender Linien und Bevorzugung strenger
Vertikalen aus. Die dadurch entstehende fläAenhafle Wir-
kung wird noch durch das parzellenmäßige Abgrenzen
ruhiger, großer Flächenpartien unterstrichen (Abb. 337,
338 u. a.). Ein besonders ausgeprägtes Beispiel dieses Stils
sind die drei in Schweigen verharrenden Freunde Hiobs
(Abb. 349). Innerhalb klar herausgearbeiteter Komparti-
mente des Gewandes verlaufen die Faltenstriche parallel
oder strahlenförmig, meiden möglichst Überschneidung und
Brechung. In der Sitzhaltung, frontal wie en face, sind
Verkürzungen ängstlich umgangen. Von ausgesprochener
Eigenart ist der Kopftypus mit der niedrigen Stirn
(Abb. 348) und die ausdrucksvollen, in tiefen Schatten-
höhlen liegenden Augen (Abb. 346). Diese, der haupt-
städtischen Kunst fremden Stilelemente lassen sich in den
Malereien der kappadokischen Höhlenfresken wiederfinden,
sowohl was den GcwandstiP" als auch die Kopftypen'^"
anbetrifft. Dennoch sind auA diese Beziehungen nicht
derart, daß man den VenezianisAen Hiob daraufhin als
das Werk einer kappadokischen Schule ansprechen könnte.
3*3 Beispiel: Jerphanion a. O-, Taf. $2.
32
Blickes hergestellte enge Zusammenhang der Figuren unter-
einander gelöst, andererseits die Szene nach neuen Gesichts-
punkten auf gebaut: reiche Figurenüberschneidung und
Bewegungsfreiheit der Einzelgestalt sind einer Aufreihung
frontaler Gestalten gewichen. Ein rhythmisches Prinzip
tritt mit dieser Reihung an die Stelle freiräumlicher
Gruppierung. Die mittelalterliche dekorative Flächen-
aufteilung verdrängt die raumillusionistische der früh-
byzantinischen Zeit. Hiermit hängt auch die möglichste
Vermeidung des Raumes überhaupt durch Abschneiden des
Bildfeldes unmittelbar über den Köpfen zusammen. Die
psychologische, durch Gebärdensprache sinnfällig gemachte
Verknüpfung der Gestalten ist einer mehr hieratischen, die
Affekte zurückdrängenden Gestaltungsweise gewichen. Der
Venezianische Hiob hat sich in dieser Darstellung der
Kinder Hiobs bereits so weit von der Patmos-Handschriff
entfernt, daß es zweifelhaft erscheinen könnte, ob über-
haupt diese zwei Handschriften mit einem gemeinsamen
Vorbild in Verbindung gebracht werden dürfen. Aber es
gibt daneben eine ganze Reihe von Bildern im Venezia-
nischen Hiob, in denen der Miniator sich weniger von
seinem Vorbild entfernt und der Zusammenhang mit dem
Patmos-Hiob greifbar bleibt, wie z. B. in der Darstellung
der vier Boten, die dem Hiob die Unglücksnachrichten
überbringen (Abb. 340 vgl. mit Abb. 333). Wie die Boten
von links mit vorgestreckter Rechten herantreten, wie Hiob
rechts in der Tür seines Hauses sitzt, dessen Dach über den
Bildrahmen herausragt, stimmt im Kompositionellen so
weitgehend überein, daß an einem Zusammenhang beider
Handschriften mit derselben Grundredaktion kaum ge-
zweifelt werden kann. Aber wiederum sind die gleichsam
im freien Raum dramatisch sich bewegenden Boten um-
gebildet in eine isokephale und in ihrem Bewegungsausdruck
gehemmte Gruppe. In anderen Bildern tritt zu den auf
dieser Linie liegenden Veränderungen off eine Reduzierung
oder Abstreifung allen Beiwerks. In den Bildern der Ver-
nichtung der Söhne und Töchter (Abb. 341 vgl. mit
Abb. 33z), deren kompositioneller Zusammenhang durch
die Steine schleudernden Teufel links und rechts und
andere Figuren und Einzelheiten offenbar wird, sind
die Diener und Mundschenken fortgelassen. Dasselbe ist
bei der Darstellung des Mahles selbst der Fall (Abb. 343
vgl. mit Abb. 327). Und so lassen sich noch eine ganze
Reihe von Vergleichungen vornehmen, in denen immer
wieder dieselben Unterschiedlichkeiten zutage treten, so
beim Ritt der drei Freunde zu Hiob (Abb. 347)^, wo der
begleitende Troß fortgefallen und die räumliche Staffe-
lung durch einfache rhythmische Reihung der Reiter ersetzt
ist, oder bei dem Forttreiben der Herde (Abb. 339 vgl. mit
Abb. 331), wo statt der verschieden gerichteten Kamele
eine Aufreihung der Tiere dargestellt ist, wo aus dem
Heransprengen der Reiter ein gemächliches Herantraben
3'3 Vgl. Jacopi, Taf. XIX.
si* Beispiele: Jerphanion a. O-, Taf. 46, 50, 52.
geworden ist usw. Die angeführten Stilunterschiede mögen
zum Teil auf das Temperament des Künstlers oder auf die
lokale Eigenart zurückgeführt werden, im wesentlichen aber
darf der Wandel vom Räumlichen zum Flächenhaffen,
von freier illusionistischer Gruppierung der Gestalten zu
ihrer rhythmischen Reihung, von der ungehemmten Äuße-
rung des Affekts zu hieratischer Gebundenheit, von der
Torsion der Einzelgestalt zu ihrer möglichsten Frontalität
als ein zeitlicher verstanden werden, als ein Wandel
von dem in hellenistischer Tradition stehenden vorikono-
klastischen zu dem das hohe Mittelalter vorbereitenden
nachikonoklastischen Stil. Die byzantinische Kunst ist in
dieser Richtung, in der sie verwandte Tendenzen mit
der gleichzeitigen abendländischen Kunst aufweist, nicht
weitergegangen. Die Renaissancebewegung des 10. Jahr-
hunderts schneidet diese Entwicklung, die zu etwas
Ähnlichem wie dem romanischen Stil des Abendlandes
hätte führen können, ab.
Während also der Venezianische Hiob im Kompositio-
nellen vom Patmos-Hiob abhängt, lassen seine besonderen
Stileigentümlichkeiten siA am besten erkennen bei einer
Vergleichung mit einem hauptstädtischen Werk, dem nur
etwa zwanzig Jahre älteren Pariser Gregor. Der Hiob des
Titelbildes (Abb. 344) läßt sich in dem Versuch einer Pon-
derierung und strukturhaffen Erfassung des Körpers mit
ähnlichen Gestalten des Pariser Gregor vergleichen, wie
z. B. dem Christus des Metamorphosis-Bildes (Abb. 18).
Während der Maler des Gregor die Gewandung des
Christus durch reiche Fältelung und Knitterung und un-
ruhige Verteilung der Glanzli&ter zu beleben versucht —
Merkmale, die das ganze 10. Jahrhundert hindurch bis ins
11. Jahrhundert für die Konstantinopeler Kunst typisch
bleiben —, zeichnet sich die des Hiob durch möglichstes Ver-
meiden divergierender Linien und Bevorzugung strenger
Vertikalen aus. Die dadurch entstehende fläAenhafle Wir-
kung wird noch durch das parzellenmäßige Abgrenzen
ruhiger, großer Flächenpartien unterstrichen (Abb. 337,
338 u. a.). Ein besonders ausgeprägtes Beispiel dieses Stils
sind die drei in Schweigen verharrenden Freunde Hiobs
(Abb. 349). Innerhalb klar herausgearbeiteter Komparti-
mente des Gewandes verlaufen die Faltenstriche parallel
oder strahlenförmig, meiden möglichst Überschneidung und
Brechung. In der Sitzhaltung, frontal wie en face, sind
Verkürzungen ängstlich umgangen. Von ausgesprochener
Eigenart ist der Kopftypus mit der niedrigen Stirn
(Abb. 348) und die ausdrucksvollen, in tiefen Schatten-
höhlen liegenden Augen (Abb. 346). Diese, der haupt-
städtischen Kunst fremden Stilelemente lassen sich in den
Malereien der kappadokischen Höhlenfresken wiederfinden,
sowohl was den GcwandstiP" als auch die Kopftypen'^"
anbetrifft. Dennoch sind auA diese Beziehungen nicht
derart, daß man den VenezianisAen Hiob daraufhin als
das Werk einer kappadokischen Schule ansprechen könnte.
3*3 Beispiel: Jerphanion a. O-, Taf. $2.
32