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HISTORISCH-TOPOGRAPHISCHE NACHRICHTEN.

Geschichte und Topographie der Latmosklöster lassen sich aus den Ruinen selbst nur zum Teil
aufbauen. Wertvolle Dokumente in der Bibliothek des Johannisklosters zu Patmos und die hagiographi-
schen Schriften, welche im vorhergehenden Abschnitt durch H. Delehaye1) zum erstenmal im
Ganzen herausgegeben wurden, müssen hinzugezogen werden. Während nun die Klosterstätten, Aske-
tarien, Eremitenhöhlen, Malereien und Befestigungswerke bisher so gut wie unbekannt waren, sind die
nach Patmos geretteten Latmosdokumente seit 1890 durch die Veröffentlichungen der österreichischen
Gelehrten Fr. Miklosich und J. Müller in den Acta et Diplomata monasteriorum et ecclesiarum
orientis (Bd. I und Iil) zwar bekannt geworden, archäologisch aber unbenutzt geblieben. Auch bei genauer
Kenntnis des Latmos ist es sehr schwer, die topographischen Angaben dieser Dokumente mit den
wiederentdeckten Ruinen zu vergleichen oder zu identifizieren. Die lebendige Volkstradition ist völlig
abgerissen, einstige Besitzgrenzen sind gänzlich verschwunden. Nur vereinzelte Namensanklänge haben
sich noch im Türkischen erhalten. Mit besserem Erfolge können dagegen zahlreiche Stellen der hagio-
graphischen Literatur benutzt werden. Dann ergibt sich das folgende Bild.

Das allgemeine Ideal für die Anlage eines Klosters ist die Bergwildnis. Wie der Latmos, so war die
Mykale (6 Bpaxiavös), ferner das Gebirge bei Ephesos (tö f~a\r|ö'iov öpo?), so war der Sipylos (6 KouZivd^),
die Berggegend von Balikeser in Mysien (6 Kupuivdi;) und der bithynische Olymp zur Heimstätte der Mönche
und Anachoreten geworden. Innerhalb der Bergwelt ist es wieder ein möglichst unzugänglicher und sich
von Natur selbst verteidigender Gipfel, dem man den Vorzug gibt: kukXw cpdpctYSi Tim Kai aÜTOiidroi? koi-
XoTnm KaG' aÜTÖ Ttiuv Ttepi£ biacrreMöuevov öpoc;, Kai oiovei ti cppoüpiov voui£6uevov, so schildert Christo-
dulos (Acta et dipl. III, S. 63) sein neues Kloster auf der Insel Kos, dessen Kenntnis (Arch. Anz. 1901,
S. 138) wir R. H e r z o g verdanken.

Der Grundbesitz der Klöster im Latmos war unsagbar mager, wasserarm und mit dem des Athos in
keiner Weise zu vergleichen. Man besaß Wald und Köhlerstätten, man verkaufte Kienholz und gelegentlich
auch Bauholz, man besaß Viehweide und konnte an einzelnen Stellen Ölbäume ziehen, etwas Ge-
treide ernten, bescheidene Weinberge anlegen. Waldbrände verheerten, wie heute oft, die Bestände. Die
Fischerei im See wird auch damals ergiebig gewesen sein. Es war ein Gebot der äußersten Not, daß jeder
Fuß des einmal gewonnenen Besitzes mit größter Zähigkeit gegen die Ansprüche der Nachbarn, selbst
vor den obersten Reichsbehörden, verteidigt wurde z).

') Ohne persönliche Kenntnis der lokalen Verhältnisse hat H. Delehaye dennoch sofort erkannt, daß nur ein mit dem
Latmosgebirge aufs engste vertrauter Schriftsteller die Vita des heiligen Paulus d. J. verfaßt haben kann und daß die Vermutung
von V. Gr. Vasilievskij (Jurnal Min. Narodnago Proswieschtschenia 1880 p. 379—437), die Vita sei die Arbeit des Symeon
Metaphrastes, völlig unbegründet ist

2) Die Bedürfnisse, Einkünfte und Gerechtsame eines mittelalterlichen anatolischen Klosters sind am besten zu beurteilen nach
einer Urkunde vom Jahre 1079 über die Rechte des Klosters Strobilos an der kleinasiatischen Küste, Act. et dipl. III, S. 19 ff.; wenn
die Urkunde auch von den Herausgebern als verdächtig bezeichnet ist, spiegelt sie doch das damalige Leben vorzüglich wieder.

Latmos.

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