Enthalten die Kalakombenmalereien Portraits - 109
Vollständig" ausgebildet tritt uns der Christustypus in der Katakombe der hll.
Petrus und Marcellinus, auf einem Gemälde aus dem Ende des 4. oder Anfang- des
5. Jahrhunderts entgegen. Das für die Ikonographie des Heilandes grundlegende
Fresko wurde bei der Aufnahme des Planes für die Roma Sotteryanea Bosio's gefunden
und in einem schlechten Holzschnitt veröffentlicht. Der Zeichner Garrucci's hat zwar
einige Verbesserungen daran vorgenommen, seine Kopie ist aber für ikonographische
Zwecke ebenfalls unbrauchbar.' Eine getreue Abbildung des Originals bringt erst
unsere Taf. 253. Der Maler hat sich hier sichtlich eine grosse Mühe gegeben; er
wollte nicht einen bärtigen Kopf schlechthin, sondern womöglich ein Abbild des
Gottmenschen schaffen: die hohe Stirn, die mandelförmigen, von dunklen Brauen
überschatteten Augen, die feine Nase, der zum Sprechen geöffnete Mund, der lange
zugespitzte Vollbart, das schöne Oval des Antlitzes und die reichen, kastanienbraunen
Haarlocken bilden einen majestätischen, äusserst charakteristischen Kopf, dessen Würde
noch durch die Purpurgewandung gehoben wird. Die grossen Künstler der Renais-
sance stellten Christus in ähnlicher Weise dar: ein Beweis, dass der bescheidene Maler
aus den Zeiten des Verfalles der Kunst seine Aufgabe richtig verstanden und für seine
Kräfte vortrefflich gelöst hat.
Als Repräsentanten des Typus aus der späteren Zeit bringen wir die Büste, welche
über der Treppe der Ponziankatakombe gemalt ist und dem 6. oder 7. Jahrhundert an-
gehören dürfte. - Von einer Wandlung ist nicht viel zu merken; der Kopf unterscheidet
sich z. B. von dem kurz vorhin erwähnten aus Santa Ciriaca nur durch die grösseren
Augen und dadurch, dass die langen Haare die Schultern frei lassen und auf den Rücken
geführt sind. Der Bart ist kurz und immer noch ungetheilt, wie denn der gespaltene
Bart auf den Fresken der Katakomben bei Christus gar nicht vorkommt, sondern eine
Eigenthümlichkeit der byzantinischen Künstler ist.
Wenn wir nun die Darstellungen Christi in den Katakomben überschauen, so
finden wir, dass von einem bestimmten Typus nicht die Rede sein kann; nicht einmal
die Figuren, welche in einer und derselben Kammer und von der gleichen Hand ge-
malt sind, weisen unter einander Gesichtsähnlichkeit auf.3 Was der hl. Augustin von
den Christusbildern seiner Zeit sagt: «nam et ipsius dominicae facies carnis innumera-
bilium cogitationum diversitate variatur et fingitur, quae tarnen una erat, quaecunque
erat »,4 lässt sich daher auch auf jene anwenden. Nur darin bleiben sich die Künstler
konsequent, dass sie Christus da, wo er ein Wunder wirkt, stets bartlos schildern und
dass sie ihm seit dem 3. Jahrhundert gewöhnlich ein reicheres Haar geben. Der Ge-
sichtsausdruck wechselt anfänglich zwischen dem eines Jünglings und dem eines
Mannes; später nimmt er bisweilen die Züge eines Knaben an. Dieses Schwanken
' Bosio,i?. S., S. 591 ;Ga.rrucc\,Ston'a, II,Taf. 58, 1. wir jedoch, es sei dieses ausdrücklich bemerkt, die
2 Taf. 257. Frage, ob es ein Portrait Christi überhaupt gegeben
3 Taff. 124 ff. u. 142, 2; 193. habe, nicht berühren; uns gehen hier nur die Male-
4 De Trinit., 8, 4. jNIigne, 42, 951. Damit wollen reien der römischen Katakomben an.
Vollständig" ausgebildet tritt uns der Christustypus in der Katakombe der hll.
Petrus und Marcellinus, auf einem Gemälde aus dem Ende des 4. oder Anfang- des
5. Jahrhunderts entgegen. Das für die Ikonographie des Heilandes grundlegende
Fresko wurde bei der Aufnahme des Planes für die Roma Sotteryanea Bosio's gefunden
und in einem schlechten Holzschnitt veröffentlicht. Der Zeichner Garrucci's hat zwar
einige Verbesserungen daran vorgenommen, seine Kopie ist aber für ikonographische
Zwecke ebenfalls unbrauchbar.' Eine getreue Abbildung des Originals bringt erst
unsere Taf. 253. Der Maler hat sich hier sichtlich eine grosse Mühe gegeben; er
wollte nicht einen bärtigen Kopf schlechthin, sondern womöglich ein Abbild des
Gottmenschen schaffen: die hohe Stirn, die mandelförmigen, von dunklen Brauen
überschatteten Augen, die feine Nase, der zum Sprechen geöffnete Mund, der lange
zugespitzte Vollbart, das schöne Oval des Antlitzes und die reichen, kastanienbraunen
Haarlocken bilden einen majestätischen, äusserst charakteristischen Kopf, dessen Würde
noch durch die Purpurgewandung gehoben wird. Die grossen Künstler der Renais-
sance stellten Christus in ähnlicher Weise dar: ein Beweis, dass der bescheidene Maler
aus den Zeiten des Verfalles der Kunst seine Aufgabe richtig verstanden und für seine
Kräfte vortrefflich gelöst hat.
Als Repräsentanten des Typus aus der späteren Zeit bringen wir die Büste, welche
über der Treppe der Ponziankatakombe gemalt ist und dem 6. oder 7. Jahrhundert an-
gehören dürfte. - Von einer Wandlung ist nicht viel zu merken; der Kopf unterscheidet
sich z. B. von dem kurz vorhin erwähnten aus Santa Ciriaca nur durch die grösseren
Augen und dadurch, dass die langen Haare die Schultern frei lassen und auf den Rücken
geführt sind. Der Bart ist kurz und immer noch ungetheilt, wie denn der gespaltene
Bart auf den Fresken der Katakomben bei Christus gar nicht vorkommt, sondern eine
Eigenthümlichkeit der byzantinischen Künstler ist.
Wenn wir nun die Darstellungen Christi in den Katakomben überschauen, so
finden wir, dass von einem bestimmten Typus nicht die Rede sein kann; nicht einmal
die Figuren, welche in einer und derselben Kammer und von der gleichen Hand ge-
malt sind, weisen unter einander Gesichtsähnlichkeit auf.3 Was der hl. Augustin von
den Christusbildern seiner Zeit sagt: «nam et ipsius dominicae facies carnis innumera-
bilium cogitationum diversitate variatur et fingitur, quae tarnen una erat, quaecunque
erat »,4 lässt sich daher auch auf jene anwenden. Nur darin bleiben sich die Künstler
konsequent, dass sie Christus da, wo er ein Wunder wirkt, stets bartlos schildern und
dass sie ihm seit dem 3. Jahrhundert gewöhnlich ein reicheres Haar geben. Der Ge-
sichtsausdruck wechselt anfänglich zwischen dem eines Jünglings und dem eines
Mannes; später nimmt er bisweilen die Züge eines Knaben an. Dieses Schwanken
' Bosio,i?. S., S. 591 ;Ga.rrucc\,Ston'a, II,Taf. 58, 1. wir jedoch, es sei dieses ausdrücklich bemerkt, die
2 Taf. 257. Frage, ob es ein Portrait Christi überhaupt gegeben
3 Taff. 124 ff. u. 142, 2; 193. habe, nicht berühren; uns gehen hier nur die Male-
4 De Trinit., 8, 4. jNIigne, 42, 951. Damit wollen reien der römischen Katakomben an.