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Wilpert, Joseph [Hrsg.]
Die Malereien der Katakomben Roms (Text): Die Malereien der Katakomben Roms — Freiburg i.Br., 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.1340#0159

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Der künstlerische ]Verth der Katakombenmalereien. 139

in den Bewegungen ist auch die Orans, die wir auf Taf. 88 abbilden! Das schöne
Oval des Gesichtes, die Drappirung des Kopftuches, die ungleiche Höhe der ausge-
breiteten Arme, — alles das sind künstlerische Motive, die um so höher anzuschlagen
sind, als wir sie an einem Fresko finden, das ein Maler des vorgeschrittenen 3. Jahr-
hunderts, und dazu in der Mitte des Bogens eines Arkosols, wo er sich nur mit Mühe
bewegen konnte, ausgeführt hat. In der Fmctiopanis ferner ist es dem Künstler ge-
lungen, die einzelnen Figuren zu individualisiren und so ein Bild voller Leben und
Abwechslung zu schaffen.' Von hohem artistischem Werth ist auch das Bild der Sa-
mariterin in Pretestato und dasjenige der Madonna mit dem Jesukinde neben'Isaias in
Santa Priscilla,2 welch letzteres in der Haltung der Jungfrau Viele von denen, die ich
zu ihm geführt, an die « Madonna della sedia» erinnert hat, — sind ferner einige Ge-
mälde des Guten Hirten, z. B. das interessante aus der PrätextaUatakombe, auf welchem
der Maler die Aufgabe des Bonus Pastor in der Haltung desselben vortrefflich charak-
terisirt,3 und dasjenige aus Santa Domitilla, 4 auf dem er die Heerde in einer schönen
Linie gruppirt hat. In diesen und in andern Darstellungen sind die Thierfiguren zu-
meist richtig verstanden und gezeichnet; die Löwen, Schafe, Fische und Vögel, welche
wir auf den Taff. 5, 1; 12; 17; 28; 32-34; 49 ff.; 86; 89; 114 und 190 wiedergeben,
lassen an Naturtreue nichts zu wünschen übrig.

Wir sehen demnach, dass eine grosse Anzahl der Katakombengemälde, von der
künstlerischen Seite genommen, durchaus nicht jene Geringschätzung verdient, mit
der sie von den Gelehrten gewöhnlichbehandelt wird. Es ist allerdings wahr, dass
die Weihe höherer Kunst auf ihnen nicht ruht; die Katakombenmaler verlangen aber
auch nicht, als wirkliche Künstler aufzutreten: nirgends haben sie unter ein Bild ihren
Namen gesetzt; namenlos gingen sie selbst zu Grabe. Nichts ist von ihnen übrigge-
blieben, als die Werke, die sie geschaffen haben; ihre Schöpfungen enthalten aber noch
so viele Reminiscenzen an die Antike, dass der Kunstkritiker sich ihrem Reize nicht
entziehen kann. Und wenn bisher vielfach so ungünstige Urtheile über sie gefällt
wurden, so mag der Grund wohl hauptsächlich darin liegen, dass man nicht die genü-
gende Fühlung mit den Originalmalereien hatte und nur die leider zu oft ungetreuen
Kopien berücksichtigte.

' Taf. 15, 1. ' Taf. 51, 1.

Taff. 19 u. 22. ' Taf. 122, 2.
 
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