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Wilpert, Joseph [Editor]
Die Malereien der Katakomben Roms (Text): Die Malereien der Katakomben Roms — Freiburg i.Br., 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.1340#0181

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Bildcrcyklen. Zweck der religiösen Katakombengemälde. 161

ein Sohn besucht das Grab seiner Mutter, welches sich in der Kammer 54 der Kata-
kombe der heiligen Petrus und Marcellinus befindet. Sein Blick fällt auf die Male-
reien: er sieht in der Mitte der Decke Christus als Richter zwischen Heiligen thronen,
und ringsherum die Verkündigung Mariae, die Taufe Christi, die Magier vor dem
Stern und die Übergabe ihrer Geschenke, den Guten Hirten und das Bild des Oranten;
ersieht die drei wunderbaren Heilungen des Blinden, der Blutflüssigen und des Gicht-
brüchigen, sowie auch die Scene am Jakobsbrunnen. Während er die einzelnen Gemälde
betrachtet, kommen ihm die entsprechenden Gedanken; die Gedanken gehen in Worte
über, und die Worte gestalten sich zum Gebet. Dieses Gebet könnte etwa folgender-
massen lauten: O Herr Jesu, Licht der Verstorbenen, gedenke meiner theueren Mutter!
Lasse nicht zu, dass je einmal Finsterniss ihre Seele umnachte! Sie hat an dich
geglaubt: alle ihre Hoffnung beruhte auf dir; denn du bist der verheissene Messias.
Du bist das Licht der Welt, der wahre Gott, dem allein Ehre und Anbetung gebührt.
Um uns, die wir Heiden waren, zu erleuchten und zu erlösen, hast du aus Maria, der
heiligen Jungfrau, den menschlichen Leib angenommen und liessest dich im Jordan
taufen. Du hast die Menschheit mit Wohlthaten überhäuft, Lahmen und Kranken wun-
derbar die Gesundheit wiedergegeben: erquicke nun auch die Seele meiner Mutter! Sei
ihr nicht ein strenger Richter, sondern blicke gnädig" auf die glorreichen Verdienste
der Heiligen, die sich vor deinem Richterstuhle für sie verwenden. Wie du das
verirrte Schäflein auf deinen Schultern zur Heerde zurückgetragen hast, so nimm auch
ihre Seele unter die Schaar der Auserwählten auf und führe sie in die Wohnungen
des ewigen Lichtes ein. Süsse Mutter, lebe in Gott und bete für mich! »

Wir haben die Katakombenmalereien bis jetzt mehr nach ihrer inneren Seite hin
erforscht: wir haben ihre Technik, ihr Verhältniss zur heidnischen Kunst untersucht,
an ihren Darstellungen die nothwendigen Detailstudien vorgenommen, die Chronologie
und den artistischen Werth bestimmt, die Principien für die Auslegung der religiösen
Sujets festgestellt und zuletzt die hervorragenderen Cyklen ausgewählt und für sich be-
trachtet. Es ist nun an der Zeit, dass wir uns, wenn ich so sagen darf, auch die
äussere Seite der Katakombenmalereien etwas näher anschauen. Zu diesem Zwecke
werden wir uns, in den beiden folgenden Kapiteln, mit dem Zustand, in welchem sie
auf uns gekommen sind, und mit der Art und Weise, wie man sie, nach der Wie-
derentdeckung der Katakomben, seit Bosio bis auf de Rossi in die Öffentlichkeit ge-
bracht und vervielfältigt hat, d. h. mit ihren Kopien bekannt machen.
 
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