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Winckelmann, Johann Joachim; Winckelmann, Johann Joachim [Hrsg.]; Bruer, Stephanie-Gerrit [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Gross, Marianne [Bearb.]
Schriften und Nachlaß (Bd. 2, T. 1): Sendschreiben von den herculanischen Entdeckungen — Mainz am Rhein: von Zabern, 1997

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https://doi.org/10.11588/diglit.51406#0064
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gebräuchliche Diminutivsuffix -gen erscheint neben -eben (Fältgen und Fältchen). Mit solchen Schwankungen
steht Winckelmann in der Literatur des 18. Jahrhunderts jedoch nicht in jedem Fall allein, und selbst bei einem
Schulrektor und Lexikographen wie Johann Leonhard Frisch (Teutsch-Lateinisches Wörter-Buch, Berlin 1741)
kommen sie gelegentlich vor. Ebenso wechseln bei Winckelmann umgelautete und unumgelauteten Formen
(kömmt und kommt, bekömmt und bekommt, Tage und Täge, flacher und flächet). Er gebraucht unumgelautete
Formen, wo wir umgelautete verwenden (Plane, Tone; er fangt, lasset, wachset). "Dazu kommt, daß er das Um-
lautszeichen (ein oder zwei Punkte, Strich, Haken) beim Schnellschreiben häufig wegläßt, ohne erkennbare Regel."'’
Diese und ähnliche Flüchtigkeiten in der Winckelmannschen Handschrift (z.B. der mitunter fehlende
Verdopplungsstrich über n oder m) werden von Abschreibern, Korrektoren oder Druckern vermutlich häufig
unbeanstandet übernommen worden sein. Ganz abgesehen von eigenmächtigen Korrekturen und Druckfehlern,
die für Winckelmann zeitlebens ein Grund zu Ärger und Klage waren.
Einige der orthographischen und grammatikalischen Unregelmäßigkeiten können auch als Zeichen einer Zeit
gelten, in der sich die Entwicklung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache als dynamischer Prozeß vollzog
(s. die Genera des Zahlwortes zwei). Ein Prozeß, an dem Winckelmann seit seiner Übersiedlung nach Rom 1755
ohnehin nicht mehr hautnah teilnahm. Für Orthographie und Grammatik in Winckelmanns Arbeiten gilt ganz
allgemein eine gewisse "Sorglosigkeit seiner Schreibweise", wie Hans Zeller' es nennt. August Wilhelm Schlegel
hat es rund 140 Jahre zuvor wesentlich drastischer formuliert, wenn er 1812 in seiner Rezension der von Fernow,
Meyer und Schulze besorgten Werkausgabe unterlassene Verbesserungen kritisiert und meint, Winckelmann
scheine "weder die Grammatik der deutschen Sprache, noch ihre Schreibung jemals zum Gegenstände eines
gründlicheren Nachdenkens gemacht zu haben"? Nun mag man heute Spekulationen anstellen über Erfolg und
Nichterfolg von Schulbesuchen oder die Qualität der Stendaler Stadtschule, deren Schüler Winckelmann um 1723
gewesen ist. Man könnte auch wie Schlegel auf das (damals) Brandenburgische der Winckelmannschen Herkunft
verweisen, "wo das reine Deutsch eben nicht zu Hause ist"8 9 oder darauf, daß er wohl immer mehr mit Griechisch,
Lateinisch oder Italienisch zu tun gehabt habe. Für zeitgenössische Herausgeber, Rezensenten und Leser jedenfalls
fallen orthographische und grammatikalische Unzulänglichkeiten Winckelmanns offenbar weit weniger ins Gewicht
als einige Jahrzehnte später für den durchaus kompetenten Schlegel, der allerdings auch von einem anderen
Entwicklungsstand der Sprache und Literatur ausgehen konnte. Dabei anerkennt Schlegel den schriftstellerischen
Wert Winckelmannscher Arbeiten durchaus."1 Die Kritik an Fernow, Meyer und Schulze jedoch läßt ihn
Zusammentragen, was man bei Winckelmann an Verstößen gegen die Gesetze der Orthographie und Grammatik
finden kann.11 12 Beinahe wie im Vorgriff auf diese späte Kritik wetterte Winckelmann 1759 in einem Brief an Stosch
gegen die "Eselhaften Deutschen Profeßors, die sich dem Teufel und seiner Groß-Mutter ergeben über ein Wort mit oder
ohne H. ",2 Ein echter Winckelmann, möchte man meinen. Einer, der eigene Regeln hat, auch wenn Zeller ihm
bescheinigt, er halte sich "ziemlich" an heute recht befremdliche orthographische Empfehlungen des Hieronymus

Zeller S. 41.
7
Zeller S. 40.
8
Schlegel bespricht in den "Heideibergischen Jahrbüchern der Litteratur" 1812 Nr. 5-7 S. 65-112 die ersten vier Bände der Ausgabe
"Winckelmanns Werke", hrsg. von Carl Ludwig Fernow, Heinrich Meyer und Johann Schulze, Dresden 1808-1811. Er begrüßt das
Unternehmen zwar ausdrücklich, erörtert aber anhand Winckelmanns Orthographie, Grammatik und Sprache die Notwendigkeit von
Textkorrekturen. Mit Hinweisen auf sachliche Fehler und Widersprüchlichkeiten im Werk Winckelmanns plädiert Schlegel auch für eine
sorgfältig kommentierte Ausgabe. Vgl. August Wilhelm von Schlegel's Sämmtliche Werke I-XII, hrsg. von Eduard Böcking, Leipzig 1846-1847
XII S. 321-383, hier zitiert S. 326.
Schlegel's Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) XII S. 325. - Daß Winckelmann gelegentlich Dativ und Akkusativ verwechselt, führen
auch Zeller und Rehm auf seine märkische Herkunft zurück, vgl. Zeller S. 41, 54, 174 und Rehm in: KS S. 292 und S. 336 (zu 37,10).
'θ Vgl. Einleitung S. 39 (Anm. 187 und 189).
Schlegel's Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) XII S. 326-332.
12
Br. I Nr. 338 S. 64.
 
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