Textgestaltung
61
Freyer.1 ’ Als Beispiel für die Eigenheit Winckelmannscher Grammatik sei noch einmal der Brief an Stosch zitiert.
Winckelmann beschwert sich über Korrekturen Joannan de St. Laurants in Description. Er schreibt: "Es fehlen keine
Commata, aber es sind deren zu viel und sie zerreißen den Satz. Die Vielheit der Commatum war vor 200Jahren, ist
aber in keinem richtig gedruckten Buche fernerhin zu finden." Unter Berufung auf seine Abwesenheit von
Deutschland gab Winckelmann sprachliche Unzulänglichkeiten auch zu. Solche Bekenntnisse signalisieren
gleichsam seine Auseinandersetzung mit dem Gedanken, eines Tages in italienischer Sprache zu publizieren. So
teilte er 1761 dem Herausgeber der "Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste" Christian Felix
Weiße mit: "[...] denn wahrhaftig, ich bin nicht sehr regelfest, und wenn ich länger in Rom lebe, muß ich nothwendig
dem Deutschen Schreiben entsagen. Ich habe keine Deutschen Schriften zu lesen, gut zu reden habe ich eben so wenig
Gelegenheit, und man wird mich mit meinem Plunder unter die Sprachverderber setzen."1" Hanna Koch hält das eher
für eine Bescheidenheitswendung, eine Art fishig for compliments statt ernstgemeinter Selbstkritik (womit sie
letztendlich wahrscheinlich recht hat).1. Den Lesern des Sendschreibens erklärt Winckelmann zum Beschluß
selbstbewußt, er schäme sich nicht, zu bekennen, "daß ich meiner eigenen Muttersprache nicht in ihrem völligen
Umfange mächtig bin; und es hat mir hier an vielen Kunst- und Handwerks-Wörtern gefehlet, die ich leichter im
Welschen hätte geben können ”.16
Hilfsverben (insbesonder 'haben') "vergißt" Winckelmann in seinen Sätzen gern und - sieht man genauer hin -
mit Bedacht. Denn wie schon Zeller bemerkt, dient der Verzicht auf ein Hilfsverb meist dem Satzrhythmus und
der Sprachpoesie, auch umgeht Winckelmann damit Gleichklänge und schleppende Satzschlüsse.1 Er macht die
Sätze melodisch fließend (allerdings manchmal auf Kosten der Tempora).
Für "unstatthaft" hält Schlegel die lateinische Flexion von Namen und Begriffen (des Homerus, des Musei, dem
Foro) und vermerkt deren inkonsequente Anwendung in den Texten.18
An der Sprache moniert Schlegel Wörter und Wendungen, die oft "ein altfränkisches, als ein alterthümliches
Ansehen" hätten, z.B. die häufig unelidierten Verbformen (neben elidierten).19 Hans Zeller rät hier jedoch nicht
nur zu einem vorsichtigeren Urteil, da ein zu Schlegels Zeiten veraltetes Wort um die Mitte des 18. Jahrhunderts
noch nicht veraltet gewesen sein muß, sondern verweist auch auf "die zahlreichen gewollten Archaismen, die die
Sprache erhöhen, ohne ihr gerade einen antiquarischen Geruch zu geben".211 Damit würde Winckelmann durchaus
auch seiner Zeit entsprechen, denn seit der Jahrhundertmitte liebte man es durchaus, altdeutsche und
frühneuhochdeutsche Wörter zu beleben (Lessing, Gleim, Johann Jakob Bodmer, Johann Jakob Breitinger).
Winckelmann beispielsweise gelingt in seiner Kunstbetrachtung die Neubelebung des althochdeutschen Wortes
Gewächs für Körpergröße, Wuchs, menschliche Gestalt21 und Großheit für Größe, Majestät, innere Hoheit und
Erhabenheit. Darüber hinaus scheint ihn die ursprüngliche Sinnlichkeit älterer oder eigentümlicher Wörter zu
reizen (begreifen für umfassen, zernichten für vernichten, entdecken für aufdecken, ausgraben).
In vielen Eigenarten widerspiegeln Winckelmanns Schriften auch ein Stück Sprach- und Kulturgeschichte des
Zeller S. 41: Hieronymus Freyer, Anweisung zur Teutschen Orthographie, Halle 1722 (3. Aufl. 1735).
14
Br. II Nr. 410 S. 147.
Koch, Winckelmann S. 41.
SendschreibenS. 131.
Vgl. dazu Zeller S. 187-189.
18
Schlegel s Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) S. 330-331. Vgl. auch Zeller S. 87, der Gottsched und Adelung zitiert mit der Regel, daß
deutsche Personennamen keine Artikel haben, fremde Personennamen dagegen entweder deutsche Flexionsenden erhalten oder den Artikel
zur Bezeichnung des Falls.
19
Schlegels Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) XII S. 330. - Bei Winckel mann erscheint auch in den Handschriften 'machet' neben
'macht', 'gehet' neben 'geht' u.a.
20
Zeller S. 174-175.
21
Zeller S. 66.
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Freyer.1 ’ Als Beispiel für die Eigenheit Winckelmannscher Grammatik sei noch einmal der Brief an Stosch zitiert.
Winckelmann beschwert sich über Korrekturen Joannan de St. Laurants in Description. Er schreibt: "Es fehlen keine
Commata, aber es sind deren zu viel und sie zerreißen den Satz. Die Vielheit der Commatum war vor 200Jahren, ist
aber in keinem richtig gedruckten Buche fernerhin zu finden." Unter Berufung auf seine Abwesenheit von
Deutschland gab Winckelmann sprachliche Unzulänglichkeiten auch zu. Solche Bekenntnisse signalisieren
gleichsam seine Auseinandersetzung mit dem Gedanken, eines Tages in italienischer Sprache zu publizieren. So
teilte er 1761 dem Herausgeber der "Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste" Christian Felix
Weiße mit: "[...] denn wahrhaftig, ich bin nicht sehr regelfest, und wenn ich länger in Rom lebe, muß ich nothwendig
dem Deutschen Schreiben entsagen. Ich habe keine Deutschen Schriften zu lesen, gut zu reden habe ich eben so wenig
Gelegenheit, und man wird mich mit meinem Plunder unter die Sprachverderber setzen."1" Hanna Koch hält das eher
für eine Bescheidenheitswendung, eine Art fishig for compliments statt ernstgemeinter Selbstkritik (womit sie
letztendlich wahrscheinlich recht hat).1. Den Lesern des Sendschreibens erklärt Winckelmann zum Beschluß
selbstbewußt, er schäme sich nicht, zu bekennen, "daß ich meiner eigenen Muttersprache nicht in ihrem völligen
Umfange mächtig bin; und es hat mir hier an vielen Kunst- und Handwerks-Wörtern gefehlet, die ich leichter im
Welschen hätte geben können ”.16
Hilfsverben (insbesonder 'haben') "vergißt" Winckelmann in seinen Sätzen gern und - sieht man genauer hin -
mit Bedacht. Denn wie schon Zeller bemerkt, dient der Verzicht auf ein Hilfsverb meist dem Satzrhythmus und
der Sprachpoesie, auch umgeht Winckelmann damit Gleichklänge und schleppende Satzschlüsse.1 Er macht die
Sätze melodisch fließend (allerdings manchmal auf Kosten der Tempora).
Für "unstatthaft" hält Schlegel die lateinische Flexion von Namen und Begriffen (des Homerus, des Musei, dem
Foro) und vermerkt deren inkonsequente Anwendung in den Texten.18
An der Sprache moniert Schlegel Wörter und Wendungen, die oft "ein altfränkisches, als ein alterthümliches
Ansehen" hätten, z.B. die häufig unelidierten Verbformen (neben elidierten).19 Hans Zeller rät hier jedoch nicht
nur zu einem vorsichtigeren Urteil, da ein zu Schlegels Zeiten veraltetes Wort um die Mitte des 18. Jahrhunderts
noch nicht veraltet gewesen sein muß, sondern verweist auch auf "die zahlreichen gewollten Archaismen, die die
Sprache erhöhen, ohne ihr gerade einen antiquarischen Geruch zu geben".211 Damit würde Winckelmann durchaus
auch seiner Zeit entsprechen, denn seit der Jahrhundertmitte liebte man es durchaus, altdeutsche und
frühneuhochdeutsche Wörter zu beleben (Lessing, Gleim, Johann Jakob Bodmer, Johann Jakob Breitinger).
Winckelmann beispielsweise gelingt in seiner Kunstbetrachtung die Neubelebung des althochdeutschen Wortes
Gewächs für Körpergröße, Wuchs, menschliche Gestalt21 und Großheit für Größe, Majestät, innere Hoheit und
Erhabenheit. Darüber hinaus scheint ihn die ursprüngliche Sinnlichkeit älterer oder eigentümlicher Wörter zu
reizen (begreifen für umfassen, zernichten für vernichten, entdecken für aufdecken, ausgraben).
In vielen Eigenarten widerspiegeln Winckelmanns Schriften auch ein Stück Sprach- und Kulturgeschichte des
Zeller S. 41: Hieronymus Freyer, Anweisung zur Teutschen Orthographie, Halle 1722 (3. Aufl. 1735).
14
Br. II Nr. 410 S. 147.
Koch, Winckelmann S. 41.
SendschreibenS. 131.
Vgl. dazu Zeller S. 187-189.
18
Schlegel s Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) S. 330-331. Vgl. auch Zeller S. 87, der Gottsched und Adelung zitiert mit der Regel, daß
deutsche Personennamen keine Artikel haben, fremde Personennamen dagegen entweder deutsche Flexionsenden erhalten oder den Artikel
zur Bezeichnung des Falls.
19
Schlegels Sämmtliche Werke (wie Anm. 8) XII S. 330. - Bei Winckel mann erscheint auch in den Handschriften 'machet' neben
'macht', 'gehet' neben 'geht' u.a.
20
Zeller S. 174-175.
21
Zeller S. 66.