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Aus dem Vorwort zur ersten Auflage.

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage,

Man wird diese Arbeit nicht mit den Kompendien verwechseln, wozu woh
sonst Kollegienhefte über die allgemeine Geschichte der Philosophie ausstaffiert
worden sind: was ich biete, ist ein ernsthaftes Lehrbuch, welches die Ent-
wicklung der Ideen der europäischen Philosophie in übersichtlicher und ge-
drängter Darstellung schildern soll, um zu zeigen, durch welche Denkantriebe
im Laufe der geschichtlichen Bewegung die Prinzipien zum Bewußtsein gebracht
und herangebildet worden sind, nach denen wir heute Welt und Menschenleben
wissenschaftlich begreifen und beurteilen.

Dieser Zweck hat die gesamte Gestaltung meines Buches bestimmt. Die
literarhistorische Grundlage der Forschung mußte deshalb auf eine Auswahl be-
schränkt werden, welche dem weiter arbeitenden Leser die Wege zu den besten
Quellen eröffnet. Auch auf die eigenen Darlegungen der Philosophen wurde
wesentlich nur da verwiesen, wo sie dauernd wertvolle Formulierungen und
Begründungen der Gedanken darbieten, und daneben nur hie und da dasjenige
angeführt, worauf sich eine von der üblichen abweichende Auffassung des
Verfassers stützt.

Den Schwerpunkt legte ich, wie schon in der äußeren Form zu Tage tritt,
auf die Entwicklung desjenigen, was im philosophischen Betracht das Wichtigste
ist: die Geschichte der Probleme und der Begriffe. Diese als ein
zusammenhangendes und überall ineinander greifendes Ganzes zu verstehen, ist
meine hauptsächliche Absicht gewesen. Die historische Verflechtung der verschie-
denen Gedankengänge, aus denen unsere Welt- und Lebensansicht erwachsen ist,
bildet den eigentlichen Gegenstand meiner Arbeit : und ich bin überzeugt, daß
diese Aufgabe nicht durch eine begriffliche Konstruktion, sondern nur durch
eine allseitige, vorurteilslose Durchforschung der Tatsachen zu lösen ist. Wenn
aber dabei — schon der räumlichen Ökonomie nach — dem Altertum ein ver-
hältnismäßig großer Teil des Ganzen gewidmet erscheint, so beruht das auf der
Uberzeugung, daß für ein historisches Verständnis unseres intellektuellen Da-
seins die Ausschmiedung der Begriffe, welche der griechische Geist dem Wirk-
lichen in Natur und Menschenleben abgerungen hat, wichtiger ist als alles,
was seitdem — die kantische Philosophie ausgenommen — gedacht worden ist.

Die so gestellte Aufgabe verlangte jedoch einen Verzicht, den niemand mehr
bedauern kann, als ich selbst: die rein sachliche Behandlung der historischen
Bewegung der Philosophie erlaubte nicht, die Persönlichkeit der Philosophen
zu eindrucksvoller Geltung zu bringen. Diese konnte nur da berührt werden,
wo sie als kausales Moment in der Verknüpfung und Umgestaltung der Ideen
wirksam wird. Der ästhetische Zauber, welcher dem individuellen Eigenwesen
der großen Träger jener Bewegung innewohnt, und welcher dem akademischen
Vortrage wie der breiteren Darstellung der Geschichte der Philosophie einen
besonderen Reiz verleiht, mußte hier zugunsten des Einblicks in die prag-
matische Notwendigkeit des geistigen Geschehens preisgegeben werden.

Straßburg, November 1891.
 
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